Das Obergeschoss der denkmalgeschützten Alten Kaplanei in der Ortsmitte von Odenthal sollte alternativ als Coworking-Space geplant werden. Das von der Verwaltung damit beauftragte externe Büro stellte sein Ergebnis am 16. September 2021 im Ausschuss für Planen und Bauen vor. Die Gemeinde Odenthal hat das Gebäude bis 2064 für derzeit 349 Euro im Monat „im Rahmen eines Erbbaurechtes“ gepachtet. Die Bausubstanz muss kernsaniert werden. Das schließt die Fassade und das Dach ein. Nutzbar ist das Haus aufgrund der anstehenden Sanierungsarbeiten im Moment nicht. In ihrer Wirtschaftlichkeitsbetrachtung haben die Planer*innen insgesamt 1.992.540,78 Euro als Investitionsvolumen für die beiden Etagen und den Keller kalkuliert. Die Summe beinhaltet die Baukosten von 1.683.000,00 Euro, die Baunebenkosten von 180.860,71 Euro, die Ausstattung der Gastronomie von 60.000 Euro, die Ausstattung der Räume für das Coworking von 50.000 Euro sowie Finanzierungskosten von 18.680,07 Euro.
Im Erdgeschoss soll eine multifunktionale Gastronomie angesiedelt werden, in der nach Empfehlung der Planenden auch regionale Lebensmittel verkauft werden sollten. Investor ist bei alldem allein die Gemeinde, die damit späteren Betreiber*innen das Gebäude betriebsbereit hinstellt. Anschub soll der Gastronomie zudem mit einem mietfreien ersten Halbjahr gegeben werden. Auf kritische Nachfrage der FDP zu diesem großzügigen Betreibermodell mit Starthilfe erklärte ein Sprecher der CDU, das nenne man Wirtschaftsförderung. Zumindest sind Chancen und Risiken auf diese Weise eindeutig verteilt. Alle nennenswerten finanziellen Risiken liegen allein bei der Gemeinde, wenn das Geschäftsmodell nicht funktioniert.
Hinsichtlich der Höhe des Investitionsrisikos birgt zunächst die Sanierung eines mehr oder weniger maroden Gebäudes unter Denkmalschutz grundsätzlich die Gefahr unterschätzter Kosten. In der vorgestellten Kalkulation wurden Fördermittel mit der Hälfte der Bau- und Baunebenkosten angenommen. Das wären knapp eine Million Euro gewesen, jedoch musste die Sprecherin der Planenden einräumen, es könnten tatsächlich aber nur 30 Prozent dieser Kosten gefördert werden, oder vielleicht auch gar nichts. Best case wäre demnach also ein Eigenanteil der Gemeinde von knapp 1,5 Millionen Euro. Nach der Rechnung der Planenden ergäbe sich hieraus eine Rendite von zirka 3,3 Prozent, eine Amortisation nach gut 30 Jahren, und damit ein Zeitraum von noch knapp 13 Jahren bis zum Ende das Pachtzeitraums, in denen die Gemeinde mit dem Betrieb der Alten Kaplanei Geld verdienen könnte – vorausgesetzt, der Kredit bleibt bis dahin so zinsgünstig wie aktuell. Würde das Vorhaben gar nicht gefördert, wäre die Amortisation sogar eine fast präzise Punktlandung auf dem Ende des Pachtvertrages im Jahr 2064.
Abgesehen von diesen wenns, danns und abers, an denen sich die Geister von Optimist*innen und Pessimist*innen unter den politischen Mandatsträger*innen und in der Verwaltung demnächst werden scheiden müssen, soll in diesem Beitrag selektiv die Idee betrachtet werden, das Obergeschoss der Alten Kaplanei als Coworking-Space betreiben zu lassen.
Wie die Headline „Dorfbüros im Oberstübchen“ schon erahnen lässt, müssen an der Tragfähigkeit des Coworking-Modells sachlich berechtigte Zweifel angemeldet werden. In der Ausschuss-Sitzung wurden dazu bereits gegensätzliche Meinungen geäußert. Im für die Gemeinde finanziell schon auf Kante genähten Business-Plan ist kein Puffer zu erkennen, der verhindern könnte, dass weniger als die angenommenen Einnahmen nicht gleich als Defizit in den Haushalt durchschlagen würden. Es ist also nur angebracht, sich die Erfolgsaussichten des Coworking in der Alten Kaplanei einmal genauer anzuschauen.
Da die Gemeinde das ganze Investment übernimmt, finanziert sich das Projekt nach aktueller Planung allein über die späteren Mieteinnahmen. Bei der von den Planenden angenommenen Auslastung von 80 Prozent macht die Vermietung der Räume des Coworking-Space rechnerisch mehr als ein Drittel der gesamten Mieten aus. 2104 Euro monatlich sollten über die Vermietung der insgesamt etwas mehr als 136 Quadratmeter in der oberen Etage erzielt werden. Darauf verteilen sich die 6 Büros mit 2 Einzel- und 4 Zweier-Arbeitsplätze, Treppenhäuser und eine Miniküche. Der Kernbereich der Etage, der durchquert werden muss, um mindestens 4 der 6 Räume zu betreten oder zu verlassen, ist schon allein deshalb, aber auch aufgrund seiner kleinen Abmessungen, weder als Besprechungsraum, noch als lockerer Treffpunkt für die Coworkers zu verstehen.
Damit ist in zwei Sätzen beschrieben, warum das „Oberstübchen“ der Alten Kaplanei bei nüchterner Betrachtung kein Coworking-Space im eigentlichen Sinn sein kann, sondern als durchaus ebenfalls bekanntes Angebot von anderenorts sogenannten „Dorfbüros“ betrachtet werden muss.
Der spätestens durch den Denkmalschutz nicht veränderliche Grundriss stellt das genaue Gegenteil eines Coworking-Spaces dar. Coworking zeichnet sich unter anderem durch möglichst offene Raumstrukturen auf möglichst großen Flächen aus, auf der sich eine Vielzahl von Arbeitenden mit unterschiedlichen Geschäftsmodellen und Aufgabenstellungen gleichzeitig aufhalten und Kontakt miteinander aufnehmen können. So entstehen Netzwerke und Kooperationsmodelle, Synergien, gemeinsame Projekte und gegenseitige Unterstützung.
Um das zu begünstigen, bieten Coworking-Spaces Gemeinschaftsbereiche und Aufenthaltsflächen abseits der Arbeitsplätze an. In Team-, Besprechungs- und Konferenzräumen können sich Personengruppen bei Bedarf zurückziehen, um gemeinsam Projekte oder Strategien zu besprechen. Aus der Diversität der zufällig gleichzeitig anwesenden Freiberufler*innen, der Gründer*innen und der Etablierten ergeben sich Möglichkeiten, die anders kaum so „zufällig“ zustande kommen.
Coworking ist eben nicht, mit schnellem Internet allein im stillen Kämmerlein zu sitzen. Das wäre nur „Working“. Die Alte Kaplanei bleibt mit insgesamt 10 Arbeitsplätzen abgesehen von der Vereinzelung der Coworkers und den gänzlich fehlenden Gemeinschaftsbereichen weit unter der Anzahl von Personen, aus denen sich die zuvor beschriebenen positiven Effekte ergeben können. Viele Coworkers buchen Zeiten, um Leute zu treffen, und mit ihnen gemeinsam über den eigenen Tellerrand zu blicken, nicht um im Einzelbüro zu arbeiten.
Hinzu kommt, dass der professionelle Betrieb eines Coworking-Spaces mehr ist, als ein Buchungs- oder Reservierungssystem für Räumlichkeiten und Arbeitsplätze, oder ein vernünftiger Catering-Service. Anbieter*innen dieser Leistung fördern auf vielfältige Weise aktiv die Vernetzung und das Coworking Ihrer Kund*innen und machen ihren Space auf diese Weise attraktiv und nützlich.
All diese prägenden Merkmale sind in dem bisherigen Konzept für einen Coworking Space in der Alten Kaplanei nicht erkennbar, und aufgrund der Rahmenbedingungen einfach gar nicht realisierbar. Auch in der 74-seitigen Broschüre der Bertelsmann Stiftung, „Coworking im ländlichen Raum – Menschen, Modelle, Trend“, die von den Planenden in ihrem Bericht selbst als Quelle genannt wird, ist ein zu geringes Angebot als große Herausforderung beschrieben. Um ein attraktives Angebot vorzuhalten, sei man darauf angewiesen, dass die Anzahl der Coworking-Spaces eine gewisse kritische Masse erreicht. Je kleiner das Angebot, umso fraglicher der wirtschaftliche Betrieb und umso unwahrscheinlicher eine funktionierende Coworking-Community.
In der Ausarbeitung der Bertelsmann Stiftung wird auch betont, dass der kommunale Bedarf an Coworking-Space bei der Planung an erster Stelle stehen sollte, nicht die Umnutzung einer Bestandsimmobilie, wie das in Odenthal bei der Alten Kaplanei jedoch der Fall zu sein scheint. Sollte es für einen Coworking-Space einen Bedarf in Odenthal geben, ist die Kaplanei aus den genannten Gründen keine geeignete Bestandsimmobilie, und ein entsprechendes Geschäftsmodell hochriskant. Es ist kein guter Grund für „echte“ Coworkers zu erkennen, die Alte Kaplanei zu buchen.
Für ein Angebot von 10 Arbeitsplätzen in 6 Dorfbüros eignet sich das denkmalgeschützte Pachtgebäude allerdings grundsätzlich. Die Kundschaft wären dann Personen, die kein alternatives Büroangebot nutzen können oder wollen. In der Sitzung gaben FDP und Bündnis 90/Die Grünen bereits zu bedenken, dass es bei den meisten Odenthaler*innen an Arbeitszimmern im eigenen Einfamilienhaus meist nicht mangelt. Dass für ein solches Angebot extra Kund*innen von außerhalb nach Odenthal pendeln, ist nicht wirklich wahrscheinlich. Es muss daher bezweifelt werden, dass der Gemeinde angesichts der Investitionen und der damit verbundenen Risiken durch eine reine Büroraumvermietung irgendwann einmal eine positive Rendite winkt.
Coworking-Space ist es nicht, den Bedarf an Dorfbüros gibt es mutmaßlich nicht. Wenn der Pachtvertrag nicht vorzeitig aufgelöst werden kann, muss sich die Gemeinde wohl doch eine andere Nutzung einfallen lassen, bei der die Odenthaler*innen nicht am Ende noch draufzahlen.