„Bezahlbarer“ Wohnraum am Maßstab Odenthal

In einem Beitrag vom 15. April 2021 rechnete das Medienprojekt Odenthal in einem eigenen Vorschlag für ein konkretes Modell für die Bezahlbarkeit von Wohnraum vor, wie hoch die Kaltmiete in Odenthal sein müsste. Immer noch mangelt es den politischen Parteien an der klaren Aussage, was „bezahlbarer Wohnraum“ ist, und das auf allen politischen Ebenen. Der Grund dafür könnte sein, dass sich eine Partei mit entsprechend verbindlicher Positionierung automatisch der Frage aussetzt, mit welchen konkreten Maßnahmen sie das von ihr definierte Ziel erreichen will. Das Schaffen zusätzlichen Wohnraums hat in den vergangenen Jahren die Miet- und die Immobilienpreissteigerung jedenfalls nicht gebremst, geschweige denn zum Stillstand gebracht oder gar umgekehrt.

Sich damit aus der Affäre zu ziehen, einfach sozialen Wohnungsbau mit bezahlbarem Wohnraum gleichzusetzen, ist letzten Endes paradox: Die staatliche Bezuschussung der Miete für Personen, die zu wenig verfügbares Einkommen haben, um allein die Miete aufzubringen, ist dann erforderlich, wenn der Wohnraum für die Unterstützten allein unbezahlbar ist.

Hierdurch entstand die Idee der Berechnung bezahlbarer Kaltmieten pro Quadratmeter auf der Basis der Durchschnittsverdienste in der Bundesrepublik, angewendet auf Odenthal. Dem lag der Gedanke zugrunde, die Gemeinde würde sich als Teil des großen Ganzen verstehen, und bezahlbaren Wohnraum als gesamtgesellschaftliche Aufgabe.

In einem Beitrag vom 23. September 2021 wies das Medienprojekt Odenthal im Zusammenhang mit einer Ausschuss-Debatte über den Haushalt allerdings darauf hin, dass es mutmaßlich ein finanzielles Interesse daran geben könnte, die Preise für Wohnraum im Gemeindegebiet dem freien Spiel der Kräfte zu überlassen, damit nur einkommensstarke und vermögende Bürger*innen sich die Mieten oder das Eigentum leisten können.

In einer Studie von IT.NRW auf der Basis von Zahlen aus dem Jahr 2017 war Odenthal von 396 NRW-Städten und Gemeinden mit 59.968 Euro auf Platz 3 der durchschnittlichen Brutto-Jahreseinkommen ihrer Bürger*innen gelandet. Das nimmt das Medienprojekt Odenthal hier zum Anlass, sein ursprünglich auf dem bundesweiten Durchschnittseinkommen basierendes Modell für bezahlbaren Wohnraum konkret bezogen auf den Odenthaler Spitzenplatz zu rechnen. Es könnte sich ja dadurch eventuell herausstellen, dass 12 Euro Kaltmiete pro Quadratmeter oder mehr für die besser verdienenden Odenthaler*innen keine nennenswerte Belastung darstellen.

Um es hier kurz zu machen: Den Berechnungen im Aprilbeitrag lagen Zahlen des Handelsblattes zugrunde, die von einem Durchschnittseinkommen von jährlich 47.700 Euro, und damit von 3.975 Euro brutto monatlich ausgingen. Netto ergab sich daraus ein monatliches Einkommen von 2.526,26 Euro. Nicht mehr als 30 Prozent davon sollten vernünftigerweise für die Kaltmiete veranschlagt werden, also 757,88 Euro. Die aktuelle Inflation, allgemeine Preissteigerungen, Erhöhungen von Steuern, Gebühren und Abgaben bekräftigen derzeit wohl den Appell an die privaten Haushalte, die 30-Prozent-Schwelle zu beherzigen. Bezogen auf eine Wohnung mit 3 Zimmern und 107,71 Quadratmetern Fläche ergab sich in der ersten Modellrechnung aus diesen Faktoren eine Kaltmiete von 7,04 Euro pro Quadratmeter als Anhaltspunkt für bezahlbaren Wohnraum.

Nun angenommen, die Gemeinde würde ihre Wohn- und Baupolitik nicht als gesamtgesellschaftlichen Auftrag verstehen, sondern Odenthal als Insel der Einkommensstarken und Vermögenden denken, gehen die modellhaften Berechnungen nicht mehr von 47.700 Euro, sondern eben von den bei IT.NRW ermittelten 59.968 Euro aus. Dann werden aus den 3.975 Euro 4.997 Euro brutto monatlich. Aus den 2.526,26 Euro netto werden 3.175 Euro, wobei der vermutlich höhere Steuersatz außer Acht gelassen ist. Statt dem Schwellenwert von maximal ratsamen 757,88 Euro für die Kaltmiete ergeben sich für die Gutverdienenden in Odenthal schlussendlich 952,74 Euro, die bei der Kaltmiete durchschnittlich nicht übertroffen werden sollten, also 8,85 Euro pro Quadratmeter für unsere 107,71 Quadratmeter große Beispielwohnung.

Wie bereits im Beitrag aus April sei an dieser Stelle der Hinweis auf die zwar sachlich begründeten, aber letztlich doch willkürlich festgelegten Parameter dieser Berechnung gegeben. Dennoch bewegt sich das Modell innerhalb eines Rahmens mit starkem Bezug zur Realität, den die gewinnorientierte Preisfindung auf dem freien Immobilienmarkt längst verlassen zu haben scheint. Für die Idee, dass durch Investor*innen, die ohne konkrete politische Leitplanken in Odenthal bauen, und verkaufen oder vermieten, allein durch das zusätzlich geschaffene Wohnraumangebot eine mildernde Wirkung auf die allseits zumindest nach außen beklagte Preisentwicklung haben könnte, ist durch die Erfahrungen der letzten Jahre widerlegt.

Selbst wenn ungleiche Maßstäbe an Odenthal und den Rest der Welt angelegt werden, zeigt die Berechnung von tatsächlich bezahlbarem Wohnraum sogar unter Berücksichtigung der „Wohlstandsparameter“ in der Gemeinde, dass die Politik sich von der Legende des sich selbst durch Angebot und Nachfrage bereinigenden Immobilienmarktes verabschieden müsste. 12 Euro sind 35 Prozent mehr als die sogar für Odenthaler Verhältnisse als bezahlbar zu bewertenden 8,85 Euro, von den 7,04 Euro der „Durchschnittsbürger*innen“ bundesweit ganz zu schweigen.

Sozialer Wohnungsbau ist hierfür nicht nur keine Lösung für Odenthal, es ist politisch eine ganz andere Baustelle.

Auf eine gesetzliche Rente von bundesweit durchschnittlich 968 Euro brutto sei abgesehen davon in diesem Beitrag ebenfalls noch einmal hingewiesen. Auch der Generationenwechsel im Bestand ist nur dann möglich, wenn die älteren, nicht mehr erwerbstätigen Odenthaler*innen für nicht mehr als 30 Prozent ihrer Nettorente Wohnraumangebote erhalten. Eine 65 Quadratmeter große Wohnung für 8,85 Euro kalt würde hiernach schon eine Nettorente von über 1.900 Euro voraussetzen.

Politik und Verwaltung, die „bezahlbaren Wohnraum“ beharrlich als Ziel nennen, schulden der Bevölkerung der Gemeinde eine Erklärung, welcher Wohnraum als bezahlbar gelten kann, welche politischen Entscheidungen dahin führen, und wie der Erreichungsgrad auf dem Weg zum Ziel gemessen wird. Nichts von dem ist bisher erkennbar, obwohl sich alle beharrlich zu diesem politischen Leitbild und der sich stetig verschärfenden gesellschaftlichen Notlage bekennen. Dennoch hat bislang keine Fraktion im Rat, und keine Verwaltung einen Plan, ein Konzept, oder ein Programm vorgelegt, oder auch nur bewertet, wo die Gemeinde in diesem Thema aktuell steht.

Irgendwie erinnert das politische (Nicht-)Krisenmanagement für bezahlbaren Wohnraum als gesamtgesellschaftliches Schutzgut an die aktuellen politischen Strategien zur Rettung des Klimas. Übrig bleiben frei nach Darwin am Ende die Einkommensstarken mit Elementarversicherung.

Schon fast perfide ist es dann, wenn den beiden Schutzgütern scheinbar noch ein unmittelbarer Interessenkonflikt angedichtet wird. So soll zusätzliche Flächenversiegelung und Neubauten mit bezahlbarem Wohnraum durch mehr Angebot im ländlichen Raum zu Lasten des Klimas gerechtfertigt werden. Auf diese Weise wird noch ein Schutzgut gegen das andere ausgespielt. Geschützt wird damit keines von beiden.