Mitfahrgelegenheit

Stellen wir uns vor, wir fahren mit unserem Automobil Richtung Odenthal. Soeben verlassen wir Kürten-Bechen. Vor uns erkennen wir aus der Entfernung eine uns unbekannte Person, die am rechten Straßenrand auf einem Klappstuhl sitzt. Sie hält ein Pappschild in unsere Richtung. Als wir näher kommen, können wir darauf das mit dickem Filzstift geschriebene Wort „Odenthal“ lesen. Die typische Geste mit dem Daumen verstehen wir als Aufforderung, ihr spontan die Mitfahrt anzubieten.

Die Mitfahrerbänke im Rheinisch-Bergischen Kreis sind nicht mehr als die ortsfeste Einrichtung für die dargestellte mobile Variante von Fahren per Anhalter*in. Objektiv betrachtet besteht das Angebot der Mitfahrerbank tatsächlich nur aus einer Sitzgelegenheit. Wenn man Glück hat, und das Fahrtziel auf einem der bereits vorbereiteten Schilder steht, muss man auch keine Papptafel selbst beschriften und mitbringen. Der Daumen muss auch nicht in die Höhe gehalten werden.

Die Idee wird dem Turnerbund Gross-Oesinghausen 1884 e.V. aus Burscheid zugeschrieben. Dem Verein dürfte es nicht um mehr gegangen sein, als in der heimischen Gemeinschaft die nachbarschaftliche Hilfsbereitschaft anzukurbeln. Daran ist überhaupt nichts auszusetzen. Hier soll eine solche Intention der Turner*innen in keiner Weise schlecht geredet werden.

Die Mitfahrerbänke haben allerdings offensichtlich Potential zur politischen Profilierung. Sie werden der Öffentlichkeit allen Ernstes als Angebot zur Steigerung der Mobilität und als Maßnahme zur Schonung der Umwelt präsentiert. Beides sind aktuell politische Topthemen , denen leider auch die Mitfahrerbänke zum Opfer gefallen sind.

In der Beschreibung der Website der Regionale 2025 für das Projekt „Mobilstationen im Rheinisch-Bergischen Kreis“ stehen Mitfahrerbänke dann auch in der Liste der „Verknüpfungspunkte mehrerer Verkehrsmittel“, und sind fester Baustein in einem „modularen Bausteinsystem“.

Auf der Startseite von LEADER Bergisches Wasserland haben die Mitfahrerbänke einen eigenen Navigationsreiter. Dort werden die gleichzeitige Förderung der Mobilität, die Förderung der Kommunikation und die Vorteile für die Umwelt hervorgehoben.

Die gleichlautende Botschaft finden wir auf der Website der Gemeinde Odenthal. Das Fahren per Anhalter*in ist in Odenthal plötzlich auch Element eines Verkehrsentwicklungsplans, den Odenthal bei zwei Ingenieur- und Planungsbüros in Auftrag gegeben hat. Trampen ist in der Auswertung einer Bürgerbefragung auf einmal ein Element vernetzter Mobilität, das zwar einen hohen Bekanntheitsgrad hat, aber kaum genutzt wird. Das scheint die Experten zu überraschen. Sie raten daher zum Paradigmenwechsel und zur Öffentlichkeitsarbeit. Die Bürger*innen sollen das Angebot häufiger in Anspruch nehmen. Das beinhaltet eine subtile Schuldzuweisung an die Bürger*innen: Wer nicht per Anhalter*in fährt und nicht zu fremden Leuten ins Auto steigt, obwohl er als freiwillige Sozialleistung des Kreises und der Gemeinden beim Warten sitzen kann und auch keinen Pappkarton zerschneiden und beschriften muss, verweigert die Mitwirkung an der Vernetzung der Mobilität und beim Umweltschutz. Für Diejenigen, die keine Fremden Personen in ihrem Auto mitnehmen möchten, gilt der Vorwurf ebenso.

Landrat Santelmann hat natürlich auf der Website seines Rheinisch-Bergischen Kreises ebenfalls die Gelegenheit ergriffen, sich mit den Mitfahrerbänken als Klimaschützer und Mobilmacher zu präsentieren. Daumen hoch auf dem Foto. Darauf sehen wir eine Mitfahrerbank, natürlich Herrn Santelmann, und vier weitere Personen. Jemand vom Turnerbund Gross-Oesinghausen 1884 e. V. ist nicht dabei. Natürlich stehen auch Fördergelder in Aussicht. Mitfahrerbänke lassen sich den Bürger*innen scheinbar gut als tolle Sache verkaufen. Das ist zudem angenehmer, als Klimaschutzmaßnahmen von der emittierenden Industrie und dem emittierenden Gewerbe zu fordern.

Allerdings gibt es nicht nur für die Anhalter*innen und die Angehaltenen Chancen und Risiken, sondern auch für Politiker*innen, die sich die Feder zu ihrem politischen Vorteil an den Hut stecken möchten.

Irgendwann erkennen nämlich die Wähler*innen, dass sich die Politik hier für etwas selbst feiert, für das sie gar nichts leistet, und das es logisch betrachtet nicht gibt. Der dringend notwendige sachliche Diskurs leidet grundsätzlich sowieso schon an immer mehr Stellen darunter, dass der Öffentlichkeit Maßnahmen zum Klima- oder zum Umweltschutz präsentiert werden, die gar keine sind, oder zumindest nicht in dem Maße positive Wirkung entfalten, wie suggeriert wird. Mitfahrerbänke sind eines der Beispiele. Wie bei anderen Klima-/Umwelt-Mogelpackungen käme eine Mitfahrt von der Bank nur dann dem Klima zugute, wenn dafür eine Fahrt mit einem mittelbar oder unmittelbar emittierenden Fortbewegungsmittel entfiele, und das mit relevanten Fallzahlen. Die eigentliche Leistung erbringen übrigens ausschließlich die Fahrer*innen, die anhalten und die Anhalter*innen mitnehmen – selbstverständlich ohne deswegen Umwege zu fahren.

Die Mitfahrerbänke spielen für die politischen Themen Umwelt bzw. Klima und Mobilität absolut keine Rolle. Man darf davon ausgehen, mit dieser Einschätzung dem Turnerbund Gross-Oesinghausen 1884 e. V. nicht zu nahe zu treten. Die Schuld an einer kritischen Betrachtung trägt eine Politik, die wieder einmal eine kleine, gut gemeinte Sache für eigene Zwecke gehijacked hat. Der Umstand, dass ein qualitativ und quantitativ aussagefähiges Zahlenmaterial über die Häufigkeit und den Effekt von tatsächlichen Mitfahrten nicht herstellbar ist, wird für die schlecht widerlegbare Erfolgslegende genutzt. Statt dessen sollten die Bänke umgehend aus diesem erzwungenen Kontext wieder herausgeholt, und aus entsprechenden Konzepten und Projekten gestrichen werden, um nicht ein falsches Bild über den tatsächlichen Stand der Dinge in Sachen Klimaschutz und Mobilität zu fördern.

Nachbarschaftshilfe ist ein alleinstehender und absolut ausreichender Grund für eine Mitfahrerbank. Man sehnt sich die Zeit zurück, als die Idee von Bürger*innen noch ihre bleiben durfte.