Die Grenzen der freien Entscheidung

Bauleitplanverfahren sind eigentlich ein ausgesprochen positives Beispiel gesetzlich garantierter, unmittelbarer bürgerlicher Teilhabe an politischen Prozessen. Die Gemeinden haben die Planungshoheit für ihre eigene städtebauliche Entwicklung. Sie müssen dabei allerdings öffentliche und private Belange berücksichtigen. In Flächennutzungsplänen werden die Flächen dargestellt, auf denen überhaupt gebaut werden darf. In Bebauungsplänen wird geregelt, was und wie auf diesen Flächen gebaut werden darf. Nach Bundesrecht wird die Öffentlichkeit an der Aufstellung und Änderung von Flächennutzungsplänen und Bebauungsplänen ihrer Städte und Gemeinden beteiligt. Das Baugesetzbuch regelt den Prozess.

Die folgende Darstellung ist vereinfacht und schematisch. Sie soll ein Prinzip verdeutlichen, und Personen den Diskurs ermöglichen, die bisher keine vertieften Kenntnisse über die Bauleitplanung haben.

Eine Gemeinde möchte auf einem bestimmten Stück Land in ihrem Gebiet die Möglichkeit der Bebauung schaffen. Die Fläche ist im aktuellen Flächennutzungsplan aber nicht als Bauland ausgewiesen. Die Gemeinde beantragt also die entsprechende Änderung des Flächennutzungsplanes bei der zuständigen Genehmigungsbehörde. Für Odenthal ist das die Bezirksregierung in Köln. Die Gemeinde informiert ihre Bevölkerung über ihre Absicht und begründet sie. Für die Dauer von mindestens dreißig Tagen macht sie die Unterlagen zum bisherigen Planungsstand der interessierten Öffentlichkeit frühzeitig zugänglich. Während der Dauer dieser sogenannten Offenlage können Personen zu dem Vorhaben ihre Stellungnahmen abgeben. Sie können darin Anregungen und Bedenken zur aktuellen Planung formulieren. Diese werden gesammelt und bewertet. Das gilt auch für die Stellungnahmen der gleichzeitig beteiligten zuständigen Behörden und sonstigen Träger öffentlicher Belange. Solche Träger können je nach Betroffenheit zum Beispiel verschiedene Ämter des Rheinisch-Bergischen Kreises, aber auch Umwelt- und Naturschutzverbände sein.

Alle eingegangenen Stellungnahmen werden idealerweise in der folgenden Planung berücksichtigt. Sie wird weiter konkretisiert, sofern sich nicht schon an dieser Stelle unüberwindliche Hindernisse für das Vorhaben offenbart haben. Der frühzeitigen folgt nach Abschluss dieser weiteren Planungsphase die formelle Beteiligung der Öffentlichkeit, der zuständigen Behörden und sonstigen Träger öffentlicher Belange. Wie schon zuvor macht die Gemeinde bekannt, in welchem Zeitraum die inzwischen konkretisierten Planungsunterlagen eingesehen werden können. Hierzu können erneut alle Beteiligten ihre Stellungnahmen abgeben. Auch diese werden gesammelt und bewertet.

Im Gemeinderat erfolgt die finale Abwägung der einzelnen eingebrachten Anregungen und Bedenken. Als Ergebnis dieser Abwägung der Argumente für und der Argumente gegen die geplante Änderung des Flächennutzungsplanes beschließt der Gemeinderat per Abstimmung, ob die Änderung tatsächlich durchgeführt werden soll, oder nicht. Wird die Änderung beschlossen, teilt das die Gemeinde der Genehmigungsbehörde mit, die daraufhin die Genehmigung erteilt. Die Erteilung der Genehmigung macht die Gemeinde bekannt, in Odenthal mit dem Amtsblatt „Das Rathaus“. Jetzt ist der Flächennutzungsplan geändert. Die Fläche ist Bauland. Es besteht Baurecht.

Was und wie konkret gebaut werden darf, ist im Bebauungsplan dargestellt. Wenn für die Fläche kein bestehender Bebauungsplan herangezogen werden kann, muss in der Regel einer aufgestellt werden. Das vollzieht sich wie zuvor bei der Änderung des Flächennutzungsplanes: Frühzeitige Beteiligung der Öffentlichkeit, der zuständigen Behörden und sonstigen Träger öffentlicher Belange, weiter planen, dann formelle Beteiligung. Abwägung, Beschluss, Genehmigung, Bekanntmachung.

Jetzt wissen die Architekten, was sie planen können. Wenn die folgenden Bauanträge sich am Bebauungsplan orientieren, werden sie vom zuständigen Bauamt genehmigt. Es darf gebaut werden.

Die Aufstellung eines Bebauungsplanes ist solange nutzlos, wie die Fläche, für die er aufgestellt wurde, nicht Bauland ist. Deswegen macht die dargestellte Reihenfolge Sinn. Da sich das zeitlich hinziehen kann, besteht die Möglichkeit des Parallelverfahrens. Die Änderung des Flächennutzungsplans erfolgt dann gleichzeitig mit der Aufstellung des Bebauungsplans.

Bis zuletzt besteht für die Befürworter der Bebauung der Fläche das Risiko, dass im Verlauf des Verfahrens zutage getretene schwerwiegende Bedenken die Änderung des Flächennutzungsplanes oder die Aufstellung des Bebauungsplans verhindern. Das heißt, der Ausgang der Bauleitplanung ist bis zuletzt grundsätzlich offen. Er resultiert aus der objektiven und sachlichen Bewertung der Erkenntnisse, die sich im Laufe des Verfahrens ergeben haben. Im Rahmen des Gesetzes müssen sich die Gemeinderät*innen dabei ohnehin jederzeit bewegen.

Es ist für die Gemeinderät*innen und Bürgermeister*innen sicher eine besondere politische und persönliche Herausforderung, sich und anderen die Freiheit der Entscheidung über den gesamten Prozess zu lassen. Vor allem wird es auf die individuelle Bereitschaft ankommen, den eigenen Standpunkt gegebenenfalls in Frage zu stellen, wenn ihre Bindung an das Gesetz ihnen diesen Spielraum überhaupt lässt. Öffentlichkeit, zuständige Behörden und sonstige Träger öffentlicher Belange werden beteiligt, damit der Gemeinderat alle Aspekte in der Bauleitplanung bei der Abwägung berücksichtigen kann.

Der Beschluss ganz zu Beginn, eine Fläche in Bauland verwandeln zu wollen, ob einstimmig oder mehrheitlich, kann daher zunächst nicht mehr als eine Absichtserklärung der Gemeinde sein. Es ist nicht zu erwarten, dass das Entscheidungsgremium an diesem Punkt schon alle Anregungen und vor allem Bedenken vorhersehen kann, die danach erst noch eingebracht werden könnten. Auch deren Abwägung wäre de facto bereits vorweg genommen. Einer Fraktion oder einzelnen Personen, die ehemals ihre Absicht zur Änderung einer Flächennutzung ebenfalls erklärt hat, kann die objektive Berücksichtigung von schwerwiegenden Bedenken im Laufe des darauf folgenden Verfahrens also nicht grundsätzlich als Sinneswandel oder Wendehälsigkeit vorgeworfen werden. Die Berücksichtigung neuer Erkenntnisse ist ausdrücklich ein Element des Verfahrens und wird gesetzlich gefordert.

Die ohnehin schon dafür notwendige Selbstdisziplin der politischen Entscheidungsträger*innen für ein objektives Bauleitplanverfahren wird zusätzlich auf die Probe gestellt, wenn es sich um Flächen aus Gemeindeeigentum handelt. Besonders herausgefordert ist die Gemeinde von der eigenen Disziplin beim Bauleitplanverfahren, wenn sie die vielleicht landwirtschaftlich genutzte Fläche schon mit der erklärten Absicht gekauft hat, sie später als Bauland mit Gewinn weiter zu verkaufen. Es ist offensichtlich, dass das dennoch nicht dazu führen darf, dass eine Fläche bebaut wird, die unter anderen Eigentumsverhältnissen aus sachlichen Gründen unbebaut geblieben wäre. Sonst wäre der Kauf von Grundstücken für eine Gemeinde nicht mehr als eine sich selbst erfüllende Prophezeiung.

Auch in einer der vielen Debatten um die Ponywiese (Dhünner Wiese) in Odenthal wurde sinngemäß darauf hingewiesen, die Gemeinde habe die Fläche nicht gekauft, damit Schafe darauf herumlaufen. Die gesetzlich definierten Chancen und Risiken des Bauleitplanverfahrens, und nicht zuletzt die Beteiligung der Öffentlichkeit daran, müssen nach dem Kauf einer Fläche trotzdem zur Folge haben können, dass die Gemeinde am Ende nur eine Schafweide gekauft hat. Wenn das nicht in Betracht käme, wäre die Beteiligung der Öffentlichkeit, der zuständigen Behörden und sonstigen Träger öffentlicher Belange wohl völlig überflüssig.

Die letzte Phase der Diskussion um die Ponywiese hatte die Tendenz, dass die Gegner der Bebauung an einem finanziellen Debakel schuld wären, das folgen würde, wenn die Dhünner Wiese nicht an einen privaten Investor verkauft werden kann. Unter den vorgenannten Aspekten betrachtet, könnte statt dessen aber der Kauf der Wiese durch die Gemeinde rückblickend als entscheidender Fehler betrachtet werden. Er gründete sich möglicherweise auf einer zu großen Zuversicht hinsichtlich dauerhaft günstiger Mehrheitsverhältnisse im Gemeinderat, oder einer zu optimistischen Einschätzung eventuell bestehender sachlicher Hindernisse.

Lange vor dem Ende des laufenden Bauleitplanverfahrens wurde zudem bereits ein Kaufvertrag mit dem Investor abgeschlossen. Der enthielt nach Lage der Dinge aber wohl nicht einige zu diesem Zeitpunkt vielleicht ratsame Vorbehaltsklauseln, welche die Gemeinde im Fall des Scheiterns der Änderung des Flächennutzungsplans oder der Aufstellung des Bebauungsplans unbeschadet gelassen hätten. Mutmaßlich wurden statt dessen Schadensersatzansprüche vereinbart, die der Kämmerer im Dezember 2020 mit €1.000.000 Kosten für die Gemeinde bezifferte, falls der Kauf nicht zustande käme. Dies nahmen er und andere zum Anlass, die Zustimmung zur Änderung des Flächennutzungsplans auch bei den Gegner*innen anzumahnen. Damit wurden diese indirekt für die Realisierung des Schadens verantwortlich gemacht, während die eigentliche Ursache aus dem Blickfeld rückte.

Ob es sich letztlich um eine Form der Schuldverschiebung handelte, kann Jede*r mit einfachen Gedankenexperimenten für sich entscheiden:

Stellen wir uns vor, die Dhünner Wiese sei nicht Eigentum der Gemeinde gewesen. Wie wäre das Bauleitplanverfahren dann verlaufen und ausgegangen?

Stellen wir uns vor, der Kaufvertrag mit dem Investor wäre vernünftigerweise erst nach dem Inkrafttreten der Änderung des Flächennutzungsplans gemacht worden. Welche Rolle hätte er für den Verlauf und den Ausgang des Bauleitplanverfahrens gespielt? Oder stellen wir uns vor, er wäre vorher abgeschlossen worden, aber unter dem einfachen Vorbehalt des Inkrafttretens der Änderung des Flächennutzungsplans und des Bebauungsplans.

Stellen wir uns vor, die gleichen Schadensersatzklauseln zum Nachteil der Gemeinde wären in einem Vertrag zwischen dem Investor und einem privaten Eigentümer der Ponywiese ohne Beteiligung des Gemeinderates vereinbart worden. Würde sich die Gemeinde für einen Schaden durch eine erfolglose Bauleitplanung auch in diesem Fall finanziell mit €1.000.000 bei insgesamt circa €2.000.000 Kaufpreis haftbar machen lassen? Wäre solch ein Vertrag überhaupt zustande gekommen?

Die Öffentlichkeit, die sich an Bauleitplanverfahren beteiligt, ergreift damit eine der in einer repräsentativen Demokratie nicht allzu zahlreichen Gelegenheiten, unmittelbar an politischen Prozessen wirksam teilzunehmen. Sie tut das mit Recht wohl überwiegend in der Annahme, dass ihre Anregungen und Bedenken relevant sind, und entsprechend neutral abgewogen und wertgeschätzt werden. Das ist sicher dann schwieriger zu bewerkstelligen, wenn schon vor Beginn oder im Verlauf eines solchen Verfahrens der notwendige Ausgang eventuell durch selbst geschaffene Zwangslagen unausweichlich gemacht wird. Die Öffentlichkeit sollte sich aber darauf verlassen können, dass die erforderliche Neutralität und Sachlichkeit von Bauleitplanverfahren nicht auf diese Weise belastet werden. Deshalb ist zu wünschen, dass die Gemeinde Odenthal künftig bei Grundstückskäufen mit vergleichbaren Absichten vorher prüft, ob sie es notfalls finanziell verkraften könnte, wenn das Bauleitplanverfahren anders ausgeht als gedacht. Und natürlich ist es redensartlich sowieso immer ratsam, das Fell des Bären erst dann zu verteilen, wenn er erlegt ist.