Systemfehler

Da dachte man, die Sondersitzung des Gemeinderats am 11. Mai 2021 hätte im öffentlichen Teil nichts Berichtenswertes zu bieten, die Post ginge erst hinter verschlossenen Türen im nichtöffentlichen Teil ab. Eine Fehleinschätzung, denn es stellte sich gleich zu Beginn der Sitzung heraus, im jüngst verabschiedeten Finanzplan des Haushalts 2021 für Odenthal fehlen spontan etwa 2,5 Millionen Euro. Zum Erhalt der Zahlungsfähigkeit der Gemeinde soll nun ein Liquiditätskredit aufgenommen werden.

Im Oktober 2020 trat das „Gesetz zur Isolierung der aus der COVID-19-Pandemie folgenden Belastungen der kommunalen Haushalte im Land Nordrhein-Westfalen (NKF-COVID-19-Isolierungsgesetz – NKF-CIG)“ in Kraft. Es bietet den Kommunen die Möglichkeit, die durch die Pandemie verursachten Mehrbelastungen aus ihrem Ergebnishaushalt zu isolieren.

Vereinfacht ausgedrückt werden im Ergebnishaushalt einer Gemeinde ihre geplanten Aufwendungen und Erträge dargestellt, ähnlich einer kaufmännischen Gewinn- und Verlustrechnung. Die von der Verwaltung für 2021 ermittelten zirka 2,5 Millionen Euro relevante Belastung entstehen durch prognostizierte Mindereinnahmen aus Einkommen- und Gewerbesteuer (Quelle: Nebenrechnung zur Ermittlung der Corona-bedingten Lasten im Haushaltsplanentwurf 2021, Seite 22). Diese Belastung im Ergebnishaushalt hätte für Odenthal nicht nur eine um diesen Betrag schlechtere Bilanz, sondern die Überschreitung der Haushaltssicherungsgrenze bedeutet. Das Gesetz erlaubt jedoch, eine solche zusätzliche Belastung als außerordentlichen Ertrag in den Ergebnisplan aufzunehmen. Damit ist er im Sinne des Gesetzes isoliert, oder vielleicht besser: neutralisiert. So wurde es auch in Odenthal umgesetzt.

Allerdings stellt dieser Vorgang nur eine Bilanzierungshilfe für den Ergebnishaushalt dar. Den außerordentlichen Ertrag gibt es real nicht. Damit ist die Bilanz nicht so gut, wie sie im Ergebnishaushalt aussieht. Vor Allem aber muss dafür Sorge getragen werden, dass dieser nur buchungstechnisch anfallende Ertrag nicht im Finanzhaushalt berücksichtigt wird, in dem die tatsächlichen Einnahmen und Ausgaben dargestellt sind. Denn er ist die Grundlage der Planung der Liquidität und von Investitionen der Gemeinde. Odenthal ist leider dieser Fehler unterlaufen. Dadurch ging man von etwa 2,5 Millionen Euro mehr aus, als 2021 tatsächlich zur Verfügung stehen.

Die Verwaltung erklärt das damit, dass „das System“ automatisch den Ertrag im Ergebnishaushalt als Einzahlung im Finanzhaushalt im Hintergrund übernommen habe.

Das System hat die für die Jahre 2022 bis 2024 bereits in der zuvor genannten Nebenrechnung ebenfalls schon prognostizierten in etwa gleich hohen Mehrbelastungen genauso automatisch verarbeitet. „Somit sind die Einzahlungen des Finanzhaushaltes hier in den Jahren 2021-2024 jeweils um ca. 2,5 Mio. € zu positiv dargestellt“, fasst die Verwaltung die Situation zusammen. Und: „Liquiditätskredite werden frühzeitiger als bisher angenommen die Gemeinde Odenthal begleiten und dies wahrscheinlich langfristig“.

Interessant ist für die Bürger*innen Odenthals nun, ob die zuständigen Gremien den bereits verabschiedeten Haushalt 2021 jetzt noch einmal in die Debatte zurückholen. Immerhin ist ihm auf der Basis signifikant falscher Annahmen zugestimmt worden. Wird noch der Versuch unternommen, mit zusätzlichen Streichungen weiterer verzichtbarer Investitionen den vorgeschlagenen Kredit möglichst klein zu halten, oder nimmt die Politik ihn in voller Höhe hin?

Mehr Schulden und eine Haushaltssicherung zu vermeiden war das Credo des Haushalts 2021. Da haben sich CDU und Bündnis 90/Die Grünen leider zu früh gefreut, als sie dem Haushalt vor nicht ganz zwei Monaten in der Ratssitzung zustimmten. In ihrer Rede bezeichnete die Fraktionsvorsitzende der CDU selbst den im Rückblick um über 2 Millionen Euro zu positiv bewerteten Haushalt als „ein fragiles Gebilde“, und meinte, „wir alle müssen bei jeder Investition und Ausgabe zweimal hinschauen“. Mit der neuen Kassenlage ist das Haushaltsgebilde seiner Verletzlichkeit nachträglich jedoch wohl erlegen. Es wäre schon erstaunlich, wenn man dennoch zur Tagesordnung überginge und nicht umgehend mindestens dreimal hinschaute.

Die Reduzierung des kalkulierten „Minus von über 900.000 Euro um fast die Hälfte“, über die sich der Fraktionsvorsitzende von Bündnis 90/Die Grünen in seiner Haushaltsrede noch für Odenthal freuen konnte, existiert so nur auf dem Papier, und nur im „neutralisierten“ Ergebnishaushalt. Die tatsächliche finanzielle Situation Odenthals wird im Finanzhaushalt abgebildet. Es wäre daher sicher besser, diesen nach seiner Bereinigung als Basis für die anstehenden Investitionen zu nehmen.

Da müssen also wohl alle nochmal ran, denn das Augenmaß, mit dem man den Haushalt 2021 planen wollte, muss an der neuen Situation neu ausgerichtet werden. SPD und FDP hatten jeweils den Haushalt abgelehnt und daher ohnehin noch Diskussionsbedarf. Die meisten Odenthaler*innen werden erwarten, dass gegen die Kreditaufnahme in voller Höhe nun politisch der größtmögliche Widerstand geleistet wird. Wenn nicht, landet die Rechnung für diese buchhalterische Unaufmerksamkeit wahrscheinlich früher oder später in ihren Briefkästen.

Um mit einer wirklich verlockenden Allegorie aus der Haushaltsrede der CDU zu enden: „Wir sind hier nicht bei Monopoly, wie es zuweilen wirkt, sondern verantworten alle den Haushalt 2021 der Gemeinde“.