So lautet das Motto im Logo von „Stadtradeln“, einer Kampagne des internationalen Vereins Klima-Bündnis. Auch Odenthal ruft als teilnehmende Gemeinde ihre Bürger*innen derzeit wieder zum Mitmachen auf. Auf der Website von Klima-Bündnis wird das Ziel der seit 2008 stattfindenden Aktion erklärt.
In einem zusammenhängenden Zeitraum von 21 Tagen sollen jedes Jahr Kommunalpolitiker*innen und die Bürger*innen dazu ermuntert werden, „in ihren Kommunen auf das Fahrrad (um)zusteigen“. Die Teilnehmenden werben damit „für das Fahrradfahren und setzen sich für den Klimaschutz ein“.
In dieser Darstellung der Initiatoren wird aus gutem Grund mit keinem Wort die Erwartung formuliert, die Radelnden würden bei der Aktion unmittelbar aktiv Klimaschutz betreiben indem sie etwa konkret CO2-Belastungen reduzieren. Diese gemeinschaftliche Aktion soll vielmehr eine Bewusstseinserweiterung für die kommunalpolitischen Entscheidungsträger*innen bewirken: „Diese Kampagne ist eine einzigartige Möglichkeit, klimafreundliche Mobilität zu fördern, da sie direkt mit Mitgliedern der Kommunalparlamente in Kontakt tritt und sie auffordert, das Radwegenetz vor Ort selbst zu testen. Diese Politiker*innen können dann spezielle Verbesserungen umsetzen, die auf ihren Erfahrungen beruhen und das Fahrradfahren vor Ort wird so erleichtert.“
Mit der Nutzung einer digitalen Meldeplattform sollen bei der Gelegenheit von den Teilnehmenden „Hinweise auf problematische oder fehlende Infrastrukturen“ gegeben werden. Die Kampagne bietet mit dieser Sammelstelle für Hinweise aus dem Radwegenetz den „Kommunen ein Kommunikation-, Planungs- und Bürger*innenbeteiligungsinstrument zur Verfügung, das die Interessen der VerkehrsteilnehmerInnen mit Sicherheit im Straßenverkehr und Klimaschutz in Einklang bringt.“ (Quelle: Website von Klima-Bündnis, Kampagnen, Stadtradeln, aufgerufen 5.5.2021)
Im Grunde rufen also primär die Bürger*innen die Politiker*innen zu deren eigener Beteiligung auf, nicht umgekehrt.
Soweit hat die Kampagne von Klima-Bündnis in ihrer ursprünglichen Interpretation die Unterstützung möglichst vieler Teilnehmer*innen verdient. Der Beitrag könnte an dieser Stelle mit dem einfachen Appell enden: Mitmachen bei dieser 3 Wochen dauernden friedlichen und aktiven „Fahrraddemo“ als Impuls für die politischen Entscheider*innen.
In seinem Grußwort zur Kampagne 2021 hat Landrat Stephan Santelmann allerdings gleich einmal die Gelegenheit ergriffen, und den symbolischen Akt des „Stadtradelns“ für seinen Kreis zur effektiven Klimaschutzmaßnahme erklärt: „Im letzten Jahr wurden von den Teilnehmerinnen und Teilnehmern im Kreisgebiet insgesamt 325.607 Fahrradkilometer zurückgelegt. So konnten wir rund 48.000 kg CO₂ vermeiden und in unserer Region gemeinsam einen Beitrag zum Klimaschutz leisten“.
Zur Erläuterung:
Das Rechenergebnis von 48 Tonnen, oder 48 Millionen Gramm eingespartem CO₂-Ausstoß kommt dadurch zustande, dass der vom Bundesumweltamt für das Bezugsjahr 2018 ermittelte Durchschnittswert für PKW bei 147 Gramm Treibhausgas-Emission pro Personenkilometer lag. Die einfache Multiplikation der insgesamt erradelten Kilometer mit diesem Faktor ergibt exakt 47.864.229 Gramm.
Für das Bezugsjahr 2019 hat das Bundesumweltamt inzwischen einen neuen Mittelwert von 143 Gramm Treibhausgas-Emissionen pro Personenkilometer veröffentlicht (Quelle: Website des Bundesumweltamtes, aufgerufen 5.5.2021).
Mit dieser abenteuerlichen Behauptung in seinem Grußwort hat der Landrat also kurzerhand jeden im Aktionszeitraum des Jahres 2019 geradelten und gemeldeten Kilometer zu einem erklärt, der statt mit dem Fahrrad oder dem Pedelec ansonsten mit einem PKW zurückgelegt worden wäre. Da muss der Mangel an echten Klimaschutzmaßnahmen und ihrer positiven Wirkung schon groß sein, wenn man auf solche sachlichen Abwege gerät. In den Beiträgen zu „Bergisches E-Bike“ und zur Mitfahrerbank hatte das Medienprojekt bereits andere Beispiele dafür aufgezeigt, wie kreativ Landrat Stephan Santelmann beim vermeintlichen Nachweis der Wirksamkeit seiner Klimaschutzpolitik im Rheinisch Bergischen Kreis werden kann.
Es trägt auch nicht zur Schärfung des Bewusstseins für die eigentliche Intention der Kampagne bei, wenn der Landrat alle herzlich einlädt, mit in die Pedale zu treten und damit etwas für ihre Gesundheit zu tun. Niemand wird bestreiten, dass bei einer unfallfreien Fahrradfahrt die Bewegung eine positiven Wirkung auf die körperliche Verfassung hat. Das ist jedoch in diesem Kontext allenfalls ein willkommener Nebeneffekt, steht aber wohl kaum im Mittelpunkt dieser Kampagne. Stadtradeln ist eine gemeinsame Aktion im gemeinsamen Interesse. Die eigene Gesundheit ist eher eine individuelle Angelegenheit. Der gewünschte Ausbau und Erhalt der Infrastruktur zur Nutzung für nicht emittierende Fortbewegung als Ersatz für den emittierenden PKW-Verkehr steht dabei im Vordergrund. Deswegen heißt der Verein vermutlich auch Klima-Bündnis und nicht Gesundheits-Bündnis. „Radeln für ein gutes Klima“. Wie kann man das missverstehen?
Der pauschale Aufruf zum nicht näher spezifizierten „Auf den Sattel, fertig, los!“ lässt ebenfalls hinsichtlich des Klimabewusstseins des Chefs der Kreisverwaltung in Bergisch Gladbach nichts Gutes ahnen. Jede Fahrradfahrt mit reiner Muskelkraft schadet zumindest nicht dem Klima, solange Start und Ende ohne An- und Abfahrt mit dem Auto geschehen. Ist das doch der Fall, ist die Klimabilanz des Fahrradausfluges auch ohne Akku als Tretunterstützung per se schon negativ. Bei einer Pedelecfahrt ist sie das ohnehin, wenn dafür nicht das Auto stehenbleibt. Das dürfte auf die meisten Erkundungsfahrten in der Region zutreffen, zu denen Stephan Santelmann ebenfalls möglichst viele Stadtradler*innen in diesem Jahr ermuntert.
Auf der Website des Stadtradelns wird zum Ausdruck gebracht, worum es dem Klima-Bündnis beim Stadtradeln geht: „Damit noch mehr Menschen dauerhaft vom Auto aufs Rad umsteigen, braucht es eine Radinfrastruktur, auf der sie schnell und sicher ans Ziel kommen“.
Statt als Ergebnis der jährlichen Kampagne eine unsinnige Zahl tatsächlich nicht vermiedener Treibhaus-Gas-Emissionen zu nennen, wäre also wissenswert, welche konstruktiven Reaktionen die Aktion beim Landrat selbst und bei den jeweiligen Verwaltungen seiner acht Städte und Gemeinden ausgelöst haben. Welche vorhandenen Radwege wurden instandgesetzt? Wie viele Kilometer zusätzliche Radwege wurden angelegt, auf denen die Strecken zum Einkaufen oder zur Arbeit künftig mit Muskelkraft statt mit Verbrennungsmotor bewältigt werden können. Wie viele Umsteiger*innen tun das zu welchem sich zugunsten des Fahrrades verändernden Anteil?
Das Stadtradeln ist eine auf ein bestimmtes Ziel und auf einen positiven Effekt auf einen emissionsarmen Verkehr ausgerichtete Klima-Kampagne. Sie verdient eine sachliche und objektive Erfolgskontrolle. Die Zielgruppe sind Kommunalpolitiker*innen. Der vom Landrat erzeugte Eindruck eines Fitness-Wettbewerbs mit Freizeitcharakter für die Bevölkerung wird dem genauso wenig gerecht, wie frei erfundene Emissionsvermeidungen.