Klimawandelbericht … wie gehabt

Es wirkte gleich wenig überzeugend, als Bündnis 90/Die Grünen in der Gemeinderatssitzung am 23. März 2021 den Bürgermeister Robert Lennerts daran erinnerten, dass der Rat der Gemeinde doch bitte fortlaufend über den Klimawandel zu informieren sei, und dieser gleich bereitwillig das Thema auf die Tagesordnung des entsprechenden Fachausschusses und des Gemeinderates setzen wollte. Im Beitrag vom 26. März 2021 sah das Medienprojekt Odenthal einer lange überfälligen Umsetzung eines Ratsbeschlusses vom Oktober 2019 dann auch mit reduziertem Optimismus entgegen.

Die Tagesordnung des nächsten als Fachausschuss für den angemahnten Klimawandelbericht in Frage kommenden Ausschuss für Umwelt, Wirtschaft, Tourismus und Kultur am 15. April 2021 enthielt den Punkt auch erwartungsgemäß nicht. In den Vorlagen für die Sitzung war kein Bericht enthalten. Für den 11. Mai 2021 ist die nächste Gemeinderatssitzung anberaumt. Tagesordnungpunkt Klimawandelbericht? Ebenfalls Fehlanzeige.

An der gesetzlichen Verpflichtung, diesen per Ratsbeschluss geforderten Klimawandelbericht zur Situation der Gemeinde umzusetzen, dürfte weiterhin kein Zweifel bestehen. Das Medienprojekt Odenthal hat das schon in seinem ersten Beitrag zu diesem Dauerthema dargestellt. Geändert hat sich am Zustand der Beschlusslage nichts. Er bleibt unerledigt. Darüber könnte man wohl trotzdem hinwegsehen, wenn es sich um eine reine Formalität oder Pflichtübung handeln würde. Zur Wartezeit steigt jedoch der Argwohn proportional, der Klimawandelbericht würde der Öffentlichkeit deswegen nicht zur Verfügung gestellt, weil es zum Stand des Klimawandels in der Gemeinde, zu den ergriffenen und geplanten Maßnahmen zu seiner Vermeidung, und zu deren Wirksamkeit unter dem Strich nichts Positives zu berichten gibt. Bürgermeister Robert Lennerts streute in besagter Ratssitzung so vorsorglich wie vorhersehbar den Personalfaktor ein. Für seine Anmerkung gibt es wohl keine andere Notwendigkeit, als die Botschaft: Dafür hat die Verwaltung keine Zeit und kein Personal.

Bei der Verortung des Klimaschutzes in der Prioritätenliste der Gemeindepolitik kann vielleicht der Beschluss des Ersten Senats des Bundesverfassungsgerichtes vom 24. März 2021 helfen. Der besondere Charme: Die darin zu findenden Hinweise auf die möglichen Konsequenzen unterbleibender, unwirksamer oder zeitlich in die Zukunft verschobener Klimaschutzmaßnahmen werden von Bundesverfassungsrichter*innen gegeben. Sie können damit nicht als paranoide Dystopie von Aktivist*innen oder Spinner*innen abgetan werden.

Die Begründung des Gerichts und die berücksichtigten Leitsätze beinhalten nicht nur Hinweise auf die Relevanz des Klimaschutzes und die Verpflichtungen des Gesetzgebers und der Politik allgemein. Sie zeigen auch auf, wie unvermeidlich die Erfolgskontrolle und der Nachweis der Wirksamkeit der Maßnahmen zur Verhinderung des Klimawandels sind.

(Quelle: Website des Bundesverfassungsgerichts, Pressemitteilung Nr. 31/2021 vom 29. April 2021: „Verfassungsbeschwerden gegen das Klimaschutzgesetz teilweise erfolgreich“, aufgerufen am 30.4.2021. Leitsätze zum Beschluss des Ersten Senats vom 24. März 2021 – 1 BvR 2656/18 – 1 BvR 78/20 – 1 BvR 96/20 – 1 BvR 288/20 – (Klimaschutz)).

Über die angegebene Quelle sind alle Details und Zusammenhänge der Verfassungsbeschwerde und deren Würdigung durch das Bundesverfassungsgericht recherchierbar. Die gesamte Verhandlung ist als Basis einer individuellen Meinungsbildung sehr zu empfehlen. Im Folgenden werden nur subjektiv als relevant eingeschätzte Schlaglichter aus den genannten Quellen genutzt, um den Sachverhalt mit Bezug auf die Gemeinde Odenthal darzustellen.

Zur Einordnung des Themas dienen die folgenden Auszüge, deren jeweilige Kommentierung oder Verdeutlichung sich aufgrund der bereits vorhandenen Klarheit der Aussage erübrigt:

„Mit heute [Anmerkung: 29. April 2021] veröffentlichtem Beschluss hat der Erste Senat des Bundesverfassungsgerichts entschieden, dass die Regelungen des Klimaschutzgesetzes vom 12. Dezember 2019 (Klimaschutzgesetz <KSG>) über die nationalen Klimaschutzziele und die bis zum Jahr 2030 zulässigen Jahresemissionsmengen insofern mit Grundrechten unvereinbar sind, als hinreichende Maßgaben für die weitere Emissionsreduktion ab dem Jahr 2031 fehlen.“

„Mit ihren Verfassungsbeschwerden machen die Beschwerdeführenden vor allem geltend, der Staat habe mit § 3 Abs. 1 und § 4 Abs. 1 Satz 3 KSG in Verbindung mit Anlage 2 keine ausreichenden Regelungen zur alsbaldigen Reduktion von Treibhausgasen, vor allem von Kohlendioxid (CO2), unternommen, die aber erforderlich seien, um die Erwärmung der Erde bei 1,5 °C oder wenigstens bei deutlich unter 2 °C anzuhalten.“

„Die Vorschriften verschieben hohe Emissionsminderungslasten unumkehrbar auf Zeiträume nach 2030. Dass Treibhausgasemissionen gemindert werden müssen, folgt auch aus dem Grundgesetz. Das verfassungsrechtliche Klimaschutzziel des Art. 20a GG ist dahingehend konkretisiert, den Anstieg der globalen Durchschnittstemperatur dem sogenannten „Paris-Ziel“ entsprechend auf deutlich unter 2 °C und möglichst auf 1,5 °C gegenüber dem vorindustriellen Niveau zu begrenzen. Um das zu erreichen, müssen die nach 2030 noch erforderlichen Minderungen dann immer dringender und kurzfristiger erbracht werden. Von diesen künftigen Emissionsminderungspflichten ist praktisch jegliche Freiheit potenziell betroffen, weil noch nahezu alle Bereiche menschlichen Lebens mit der Emission von Treibhausgasen verbunden und damit nach 2030 von drastischen Einschränkungen bedroht sind.“

„Grundrechte sind aber dadurch verletzt, dass die nach § 3 Abs. 1 Satz 2 und § 4 Abs. 1 Satz 3 KSG in Verbindung mit Anlage 2 bis zum Jahr 2030 zugelassenen Emissionsmengen die nach 2030 noch verbleibenden Emissionsmöglichkeiten erheblich reduzieren und dadurch praktisch jegliche grundrechtlich geschützte Freiheit gefährdet ist. Als intertemporale Freiheitssicherung schützen die Grundrechte die Beschwerdeführenden hier vor einer umfassenden Freiheitsgefährdung durch einseitige Verlagerung der durch Art. 20a GG aufgegebenen Treibhausgasminderungslast in die Zukunft. Der Gesetzgeber hätte Vorkehrungen zur Gewährleistung eines freiheitsschonenden Übergangs in die Klimaneutralität treffen müssen, an denen es bislang fehlt.“

„Die angegriffenen Regelungen entfalten eingriffsähnliche Vorwirkung auf die durch das Grundgesetz umfassend geschützte Freiheit. Die Möglichkeiten, von dieser Freiheit in einer Weise Gebrauch zu machen, die direkt oder indirekt mit CO2-Emissionen verbunden ist, stoßen an verfassungsrechtliche Grenzen, weil CO2-Emissionen nach derzeitigem Stand weitestgehend irreversibel zur Erwärmung der Erde beitragen, der Gesetzgeber einen ad infinitum fortschreitenden Klimawandel aber von Verfassungs wegen nicht tatenlos hinnehmen darf. Vorschriften, die jetzt CO2-Emissionen zulassen, begründen eine unumkehrbar angelegte rechtliche Gefährdung künftiger Freiheit, weil sich mit jeder CO2-Emissionsmenge, die heute zugelassen wird, die in Einklang mit Art. 20a GG verbleibenden Emissionsmöglichkeiten verringern; entsprechend wird CO2-relevanter Freiheitsgebrauch immer stärkeren, auch verfassungsrechtlich gebotenen Restriktionen ausgesetzt sein. Zwar müsste CO2-relevanter Freiheitsgebrauch, um den Klimawandel anzuhalten, ohnehin irgendwann im Wesentlichen unterbunden werden, weil sich die Erderwärmung nur stoppen lässt, wenn die anthropogene CO2-Konzentration in der Erdatmosphäre nicht mehr weiter steigt. Ein umfangreicher Verbrauch des CO2-Budgets schon bis 2030 verschärft jedoch das Risiko schwerwiegender Freiheitseinbußen, weil damit die Zeitspanne für technische und soziale Entwicklungen knapper wird, mit deren Hilfe die Umstellung von der heute noch umfassend mit CO2-Emissionen verbundenen Lebensweise auf klimaneutrale Verhaltensweisen freiheitsschonend vollzogen werden könnte.“

„Danach darf nicht einer Generation zugestanden werden, unter vergleichsweise milder Reduktionslast große Teile des CO2-Budgets zu verbrauchen, wenn damit zugleich den nachfolgenden Generationen eine radikale Reduktionslast überlassen und deren Leben umfassenden Freiheitseinbußen ausgesetzt würde. Künftig können selbst gravierende Freiheitseinbußen zum Schutz des Klimas verhältnismäßig und verfassungsrechtlich gerechtfertigt sein; gerade deshalb droht dann die Gefahr, erhebliche Freiheitseinbußen hinnehmen zu müssen. Weil die Weichen für künftige Freiheitsbelastungen bereits durch die aktuelle Regelung zulässiger Emissionsmengen gestellt werden, müssen die Auswirkungen auf künftige Freiheit aber aus heutiger Sicht verhältnismäßig sein. Auch der objektivrechtliche Schutzauftrag des Art. 20a GG schließt die Notwendigkeit ein, mit den natürlichen Lebensgrundlagen so sorgsam umzugehen und sie der Nachwelt in solchem Zustand zu hinterlassen, dass nachfolgende Generationen diese nicht nur um den Preis radikaler eigener Enthaltsamkeit weiter bewahren könnten.“

„Die nach 2030 verfassungsrechtlich gebotene Treibhausgasminderungslast wird erheblich sein. Ob sie so einschneidend ausfällt, dass damit aus heutiger Sicht unzumutbare Grundrechtsbeeinträchtigungen verbunden wären, lässt sich zwar nicht feststellen. Das Risiko gravierender Belastungen ist jedoch hoch und kann mit den künftig betroffenen Freiheitsgrundrechten nur in Einklang gebracht werden, wenn dies mit Vorkehrungen zur grundrechtsschonenden Bewältigung der nach 2030 drohenden Reduktionslast verbunden ist. Das verlangt auch, den Übergang zu Klimaneutralität rechtzeitig einzuleiten. Konkret erforderlich ist, dass frühzeitig transparente Maßgaben für die weitere Ausgestaltung der Treibhausgasreduktion formuliert werden, die für die notwendigen Entwicklungs- und Umsetzungsprozesse Orientierung bieten und diesen ein hinreichendes Maß an Entwicklungsdruck und Planungssicherheit vermitteln. Verfassungsrechtlich unerlässlich ist dafür zum einen, dass weitere Reduktionsmaßgaben rechtzeitig über das Jahr 2030 hinaus und zugleich hinreichend weit in die Zukunft hinein festgelegt werden. Zum anderen müssen weitere Jahresemissionsmengen und Reduktionsmaßgaben so differenziert festgelegt werden, dass eine hinreichend konkrete Orientierung entsteht.“

Im Namen des Volkes beschloss daher das Bundesverfassungsgericht (Auszug aus https://www.bundesverfassungsgericht.de/SharedDocs/Entscheidungen/DE/2021/03/rs20210324_1bvr265618.html, aufgerufen am 1.5.2021):

„§ 3 Abs. 1 Satz 2 und § 4 Abs. 1 Satz 3 KSG in Verbindung mit Anlage 2 sind jedoch insoweit verfassungswidrig, als sie unverhältnismäßige Gefahren der Beeinträchtigung künftiger grundrechtlicher Freiheit begründen. Weil die in den beiden Vorschriften bis 2030 vorgesehenen Emissionsmengen die nach 2030 unter Wahrung des verfassungsrechtlich gebotenen Klimaschutzes noch verbleibenden Emissionsmöglichkeiten erheblich reduzieren, muss der Gesetzgeber zur Gewährleistung eines freiheitsschonenden Übergangs in die Klimaneutralität hinreichende Vorkehrungen treffen. Das Grundgesetz verpflichtet unter bestimmten Voraussetzungen zur Sicherung grundrechtsgeschützter Freiheit über die Zeit und zur verhältnismäßigen Verteilung von Freiheitschancen über die Generationen.“

Die kürzeste Zusammenfassung könnte sich in einem Wort erschöpfen: Endlich. Endlich hat ein nicht in Zweifel zu ziehender Pfeiler der drei geteilten Gewalten unserer Demokratie festgestellt, wohin es führen kann, wenn das Personal statt wirksamen Klimaschutz und eine angemessene Erfolgskontrolle zu betreiben, gerade mit wichtigeren Aufgaben beschäftigt ist.

Wie sich die Beeinträchtigung grundrechtlicher Freiheiten anfühlt, durchlebt die Gesellschaft ja derzeit aus einem anderen gegebenen Anlass.

Die Botschaft ist doch wohl unmissverständlich: Der Gesetzgeber muss konkreter und weitsichtiger werden. Die Exekutive muss in der Umsetzung der konkretisierten Ziele konsequenter, schneller und transparenter werden. Die teilweise sehr jungen Beschwerdeführenden wollen es zurecht nicht hinnehmen, dass die derzeit Verantwortlichen und Handelnden, „große Teile des CO2-Budgets […] verbrauchen, wenn damit zugleich den nachfolgenden Generationen eine radikale Reduktionslast überlassen und deren Leben umfassenden Freiheitseinbußen ausgesetzt“ wird.

Das zu verhindern ist Generationengerechtigkeit.

Damit schließt sich der Kreis. Der Klimawandelbericht wurde beschlossen, um Transparenz zu schaffen, wo die Politik Odenthals beim Klimaschutz steht. Mit dem Klimawandelbericht wäre regelmäßig nachgewiesen, ob und in welcher Weise die Gemeinde Verantwortung für gleich verteilten Freiheitschancen der jüngeren Menschen übernimmt.