Initiative gegen Motor(rad)lärm

An einem Ortsausgangsschild in Odenthal möchte man nicht unbedingt wohnen, wenn Ausfahrtwetter für Motorräder ist. Mit der Beschleunigungsoption geht hier das Risiko eines erhöhten Lärmpegels für die Anwohner*innen signifikant nach oben. Dann gibt es noch die Motorräder, die aufgrund unerlaubter technischer Veränderungen den Schall grundsätzlich nicht vorschriftsmäßig dämpfen, egal, ob innerhalb oder außerhalb geschlossener Ortschaften. Dass besonders Letzteres ein berechtigter Grund zur Beschwerde ist, wird kaum jemand ernsthaft bezweifeln. Genauso wenig, dass eine Dauerbelastung durch Lärm eine Beeinträchtigung der Lebensqualität und der Gesundheit sein kann.

Den zunehmenden Unmut in der Bevölkerung über den Lärm hat auch die Odenthaler Politik aufgegriffen. Es entstand ein Forderungskatalog, der am 9. Juli 2019 vom Gemeinderat mehrheitlich beschlossen wurde. Den Anstoß in der Region gab Wermelskirchen. Die „Arbeitsgruppe Motorradlärm“ hat dort eine Liste erstellt, die unter dem Motto „Gemeinsam gegen Motorradlärm“ von möglichst vielen anderen Kommunen mitgetragen werden sollte, um damit bei den Ordnungsbehörden und dem Gesetzgeber Handlungsdruck zu erzeugen. In Odenthal entstand aus der Wermelskirchener Vorlage eine modifizierte Version, die durch die mutige Ergänzung eines neuen letzten Punktes mit der Ziffer 9 die selektive Wahrnehmung des Problems in der Nachbarstadt wesentlich versachlicht: „Die Punkte 1 bis 8 gelten entsprechend für alle sonstigen, auf öffentlichen Straßen zugelassenen Kraftfahrzeuge.“ Leider änderte Punkt 9 wohl nichts am Motto der gemeinschaftlichen Eingabe der Kommunen, die aufgrund dessen aber „Gemeinsam gegen Motorlärm“ lauten müsste. So bleibt es zumindest in der Überschrift beim ursprünglichen Feindbild.

Wermelskirchens originelle Interpretation des Gleichbehandlungsprinzips hat dort beispielsweise dazu geführt, dass in bestimmten Straßenabschnitten nur für Motorräder spezifische Geschwindigkeitsbegrenzungen gelten. Wir stellen uns versuchsweise eine der unter Generalverdacht gestellten Motorradfahrerinnen vor, die mit Ihrem technisch unveränderten, nach Straßenverkehrszulassungsordnung regelkonformen Fahrzeug, Baujahr 2020, durch das Stadtgebiet außerhalb geschlossener Ortschaften fährt. Ihr Durchschnittsverbrauch ist unter vier Liter pro hundert Kilometer, die Euro 5-Norm ist souverän erfüllt – nicht nur im Prüfstandmodus. Ab hier darf Sie nicht mehr schneller fahren als 30 Kilometer pro Stunde. Zuerst wird sie von einem modernen Sportwagen mit Soundgenerator und Klappenauspuff überholt, der die ihm erlaubten 100 Kilometer pro Stunde ausreizt. In seinem Windschatten ein sportlicher Oldtimer aus den siebziger Jahren. Nicht viel leiser. Den Bleizusatz im Kraftstoff riecht man gleich raus. Vor unserer Motorradfahrerin taucht jetzt ein Traktor aus den fünfziger Jahren auf. Der fährt auch fast 30, aber eher unfreiwillig. Überholen ohne Regelverstoß ist nicht möglich. Also bleibt sie dahinter und lässt sich ungefiltert volldieseln.

Hoffentlich fährt die regeltreue Heldin unserer imaginären Geschichte geduldig weiter Richtung Odenthal. Dank Punkt 9 ist sie in diesem Gemeindegebiet bald die einzige von den dargestellten Verkehrsteilnehmer*innen, die noch am Straßenverkehr teilnehmen darf. Das gilt dann auch für viele weitere, die in Wermelskirchen noch an ihr vorbei oder vor ihr her hätten fahren können. Die meisten davon haben vier Räder und eventuell einen Dieselmotor mit Euro 4-Norm.

Im Forderungskatalog geht es nebenbei nicht nur um den Lärm, sondern unter Ziffer 5 auch um das lärmunabhängige Verhalten mit Schadenspotential für sich und andere. Deshalb fehlen in der Liste zur finalen Verwirklichung des Gleichbehandlungsprinzips und zum Schutz der Allgemeinheit eigentlich nur noch die Fahrrad-, e-Bike- und Pedelec-Fahrer*innen mit Front- und Heckkennzeichen sowie mit „einer echten Halterhaftung im fließenden Verkehr für verkehrs- und unfallgefährdende Verstöße“. Dazu zählt etwa, nicht auf dem vorhandenen und entsprechend gekennzeichneten Radweg zu fahren.

Zur Überprüfung der Betroffenheit der eigenen auf öffentlichen Straßen zugelassenen Kraftfahrzeuge, hier der komplette Odenthaler Forderungskatalog (Quelle: Niederschrift und Sitzungsunterlagen vom 9. Juli 2019):

1. Geltung der „neuen EU-Lärmvorschriften für Motorräder“ für Krafträder, welche nach dem 01.01.2017 zugelassen wurden.

2. Einführung einer absoluten Schallobergrenze sowohl für Standgeräusche als auch für Fahrgeräusche von Motorrädern – unabhängig von den vorgegebenen Prüfzyklen. (Möglich seit Einführung der Richtlinie „Cnossos“ – Es handelt sich dabei um die Richtlinie (EU) 2015/996 der Kommission vom 19. Mai 2015 zur Festlegung gemeinsamer Lärmbewertungsmethoden gemäß der Richtlinie 2002/49/EG des Europäischen Parlamentes und des Rates mit Änderungen vom 10. Januar 2018.) Die Obergrenze muss Umwelt- und Gesundheitsbelangen gerecht werden. Die Grenzwerte müssen sowohl für Neuzulassungen als auch (ggf. nach Ablauf von Übergangsfristen) für Altfahrzeuge gelten.

3. Einführung von einfach anzuwendenden, gerichtsfesten Messverfahren (light), möglichst einsetzbar für den fließenden Verkehr (Lärmblitzer).

4. Einführung von Frontkennzeichen für Motorräder.

5. Einführung einer echten Halterhaftung im fließenden Verkehr für verkehrs- und unfallgefährdende Verstöße von Motorradfahrern. Dabei hätte der Halter das Bußgeld etc. zu tragen, wenn der Fahrzeugführer nicht zu ermitteln ist.

6. Einführung von Sanktionen (Punkte, Geldstrafe/-buße, Erlöschen der Betriebserlaubnis, Stilllegung, Beschlagnahme u.ä.) mit tatsächlich abschreckender Wirkung bei Immissions- und Geschwindigkeitsverstößen in Anlehnung an die Sanktionen im Nachbarland Niederlande.

7. Zwingende „Vorbeifahrprüfung“ bei jeder regulären TÜV-Abnahme.

8. Einrichtung von Umweltzonen; bestimmte Fahrverbote für bestimmte Fahrzeugtypen in bestimmtem Alter, die die Normen nicht erfüllen

9. Die Punkte 1 bis 8 gelten entsprechend für alle sonstigen, auf öffentlichen Straßen zugelassenen Kraftfahrzeuge.