Wenn in der Politik von Odenthal über Generationenwechsel debattiert wird, steht das typischerweise im Zugsamenhang mit Bestandsimmobilien. Zahlreiche Einfamilienhäuser, in denen Familien mit Kindern gelebt haben, werden später nur noch von ein oder zwei älteren Personen bewohnt. Die Kinder sind aus dem Haus, das Leben wird körperlich anstrengender. Junge Paare wohnen irgendwo zur Miete und planen eine Familie, für die sie Platz brauchen, den sie nicht haben. Ältere Paare haben in ihren Häusern Platz, den sie für ihren weiteren Lebensplan nicht brauchen. Soweit die sehr schematische Ausgangslage.
Am 25. März 2021 entspann sich erneut die Diskussion um dieses Spannungsfeld. Auslöser war diesmal ein Antrag von Bündnis 90/Die Grünen. Zwei Flächen in Odenthal-Erberich waren 2019 der Bezirksregierung für den Entwurf des neuen Regionalplans als Baulandreserveflächen der Gemeinde gemeldet worden. Das wollte die Fraktion mit ihrem Antrag wieder rückgängig machen und begründete das mit der Relevanz der Flächen für den Klimaschutz. CDU und Bürgermeister Robert Lennerts argumentierten dagegen. Sie wiesen darauf hin, dass die Gemeinde mit der Aufgabe der Flächen im künftigen Regionalplan Flexibilität bei der Bauleitplanung der nächsten Jahre und Jahrzehnte einbüße. Es ging aber auch um Geld. Der Bürgermeister sprach von erschreckenden Entwicklungen und von teilweise „asozialen Quadratmeterpreisen“. Es würde „gekauft, auf Teufel komm raus“. Die Botschaft hinter diesem Hinweis: Neubaugebiete wirken der Preissteigerung entgegen. Es gab ein Wort das andere. Schnell ging es um das ganze Spektrum zum Thema Wohnen und Bauen in Odenthal.
In der Debatte kristallisierte sich bald heraus, dass flächenschonend neu gebaut werden müsste. Je kleiner das Angebot von Neubauflächen allerdings ist, umso relevanter wird es, den Generationenwechsel in den Bestandsimmobilien für alle Beteiligten so zu gestalten, dass über diese Zuzugsalternative die Bevölkerungszahlen zumindest konstant bleiben. Den älteren Menschen, die freiwillig ihre Häuser den jungen Familien überlassen möchten, soll daher in Odenthal eine attraktive Folgelösung angeboten werden. Mitglieder der CDU nannten als Zielgebiet hierfür die Ponywiese (Dhünner Wiese). Das geplante Projekt des privaten Investors stellt für sie ein gutes Beispiel für eine bauliche Verdichtung dar. Dort sollen insgesamt 85 Wohneinheiten in zwei- und dreigeschossiger Bauweise entstehen. Barrierearm und in unmittelbarer Nähe zu Ärzten, Apotheken und Einkaufsmöglichkeiten, sieht die CDU in diesem Projekt auch ein Lösungselement zur Beflügelung des Generationenwechsels in Odenthal.
Außer der CDU sprachen sich alle anderen Fraktionen dafür aus, der Bezirksregierung mitzuteilen, die beiden Flächen in Erberich nicht im nächsten Regionalplan als Baulandreserveflächen ausweisen zu wollen. Das stand am Ende einer Diskussion, die sich um so viel mehr drehte. In den zahlreichen Wortmeldungen aus allen Fraktionen wurden viele unterschiedliche Aspekte des Themenkomplexes angesprochen. Es blieb dabei überwiegend aber entweder bei einer einseitigen politischen Betrachtung isoliert dargestellter Aspekte, oder bei dem Versuch, den Blickwinkel der politischen Gegner*innen in Frage zu stellen. Letzten Endes war noch nicht einmal eine Einigung darüber erkennbar, was nun überhaupt das Problem ist – von einem gemeinsamen Lösungsansatz ganz zu schweigen.
Was eben weiterhin fehlt, ist das Herstellen der Zusammenhänge. Solange die üblichen Stichworte wie „Generationenwechsel“, „bezahlbarer Wohnraum“, „Neubaugebiete“, „Bestandsimmobilien“, „Zuzug“, „Junge Familien“, „Ältere Generation“, „Verkauf von Flächen aus Gemeindeeigentum“, „Erbpacht von Flächen aus Gemeindeeigentum“, „Flächenfraß“, „Umwelt“, „Klima“, „Einfamilienhäuser“, „Geschossbau“, „Grundstückspreise“, „flächenschonende Bauweise“ nur aufgerufen und gegenüber gestellt werden, ist kein von allen akzeptierter Lösungsansatz zu erwarten. Selbstverständlich reicht ja im Zweifel eine einfache Mehrheit aus. Die überdauert allerdings vielleicht nur eine Legislaturperiode. Von beiden Seiten der Diskussion wurde auch in dieser Sitzung daran erinnert, dass dieses Thema einen erheblich größeren Zeithorizont hat, und die „nächsten Generationen“ von Odenthaler Bürger*innen und Politiker*innen betreffen wird. Zumindest darüber schienen sich alle einig zu sein, wenn auch aus unterschiedlichen Gründen.
In den Sachfragen ist eine Annäherung nicht zu erwarten, weil die jeweiligen Standpunkte nicht wirklich objektiviert werden. Das liegt auch daran, dass in Odenthal kaum eigene belastbare Zahlen erhoben und berichtet werden. Unterschiedlich gewichtete Mietpreisspiegel, Grundstückspreise, Altersstrukturen, Bebauung, Flächenverbrauch, Zuzug und Abwanderung, Pendlerquoten, und andere eigentlich notwendige Zahlen werden von der Gemeinde nicht selbst zusammenhängend ermittelt, analysiert und veröffentlicht. Der längst beschlossene Klimawandelbericht fehlt ebenfalls weiterhin. Ohne belastbare Zahlen lässt sich natürlich viel einfacher ein eigener politischer Standpunkt aufbauen und über andere ganz leicht das Gegenteil behaupten. Wirksame Lösungen und Transparenz von Entscheidungsprozessen erreicht man so aber nicht.
Ein Versuch:
Gegen den Klimaschutz durch den Erhalt von unbebauten und unversiegelten Flächen ist sachlich wohl kein Kraut gewachsen. Diese Maßnahme ist auf jeden Fall objektiv wirksam.
Dass eine noch so offensive Neubaupolitik in einer Gemeinde mit 15.000 Einwohner*innen irgendeinen Effekt auf die Grundstücks- oder Immobilienpreise hat, ist mehr als unwahrscheinlich. Selbst in beliebig größeren Maßstäben ist ein Zusammenhang zwischen mehr Angebot und sinkenden oder wenigstens stagnierenden Preisen im Immobilienmarkt nicht erkennbar.
NRW-Bau-Ministerin Scharrenbach erklärt in ihrem Vorwort zum „Wohnungsmarktgutachten über den quantitativen und qualitativen Wohnungsneubaubedarf in Nordrhein-Westfalen bis 2040“: „2019 war ein Rekordjahr für ein Mehr an Wohnungen in Nordrhein-Westfalen: 45.970 Wohnungen in Wohn- und Nichtwohngebäuden standen mehr als im Vorjahr zur Verfügung. Damit steigt die Anzahl der Wohnungen in unserem Bundesland auf 9.060.333 Einheiten. Und der Wohnungsbau wird auf hohem Niveau bleiben: Über 57.000 Baugenehmigungen wurden in 2019 erteilt. Eine der Grundvoraussetzungen für die Verbreiterung des Angebotes und damit eine nachhaltige Preisentwicklung sowohl am Mietwohnungs- als auch am Eigentumsmarkt“. Die Preise sind trotzdem ungebremst weiter gestiegen.
Sofern eine Region nicht unter nachhaltig schlechten strukturellen Rahmenbedingungen leidet, hat ein deutlich erhöhtes Angebot an zusätzlichem Wohnraum den Anstieg der Preise bislang nicht aufgehalten. Das gilt besonders für „Wohlhabende Städte/Gemeinden im Umfeld von Wirtschaftszentren“, einem Demographietyp der Bertelsmann Stiftung, zu dem auch Odenthal zu zählen ist. In der Gemeinde möglichst viele Freiflächen zu bebauen, um die Welt vom Übel immer weiter steigender Immobilienpreise zu befreien, ist grundsätzlich nicht erfolgversprechend.
Wer im Alter sein großes Haus verkauft, um in eine kleine Wohnung zu ziehen, erwartet in den meisten Fällen, dass dabei ein zusätzliches finanzielles Polster entsteht. Im jährlich erscheinenden „Grundstücksmarktbericht 2021 für den Rheinisch-Bergischen Kreis (ohne die Stadt Bergisch Gladbach)“ des Gutachterausschusses für Grundstückswerte im Rheinisch-Bergischen Kreis wird für Odenthal dargestellt, dass in den Jahren 2018 bis 2020 insgesamt 81 freistehenden Ein-/ und Zweifamilienhäusern verkauft wurden. 45 davon wurden in den Jahren zwischen 1950 und 1974 gebaut. Für den Generationenwechsel sind das typische Baujahre. Der erzielte Durchschnittspreis dieser Häuser belief sich auf 428.967 Euro. Als Abweichung hiervon nach oben und nach unten werden in dem Bericht maximal 137.571 Euro angegeben.
Für den Durchschnittserlös von 428.967 Euro konnte man sich in Odenthal zuletzt eine an der Bergisch Gladbacher Straße neu gebaute Eigentumswohnung mit zirka 107 Quadratmeter leisten. Der zuvor genannte Grundstücksmarktbericht hat für die Vertragsjahre 2019 und 2020 insgesamt 8 Wohnungsverkäufe unter dieser Adresse registriert. Die Wohnungsgrößen lagen zwischen 66 und 112 Quadratmetern. Als durchschnittlicher Quadratmeterpreis wurden 4.000 Euro ermittelt. Die Spanne reicht über alle dieser acht Wohnungen von 3.575 Euro bis 4.450 Euro. Am 28. März 2021 wurde auf einer Immobilienplattform ein Erstbezug einer dieser Wohnungen mit 3 Zimmern und exakt 107,71 Quadratmetern Wohnfläche zur Miete angeboten. Kaltmiete 1.300 Euro plus 250 Euro Nebenkosten. 2 Stellplätze zu je 70 Euro kosten extra. 4.000 Euro pro Quadratmeter beim Kauf, und über 12 Euro pro Quadratmeter zur Kaltmiete für eine Eigentumswohnung in Odenthal stellen die Annahme positiver Einflüsse von Neubauprojekten auf die Immobilienpreise massiv in Frage. Ob junge Familien von außerhalb, oder ältere Odenthaler*innen unter diesen Bedingungen das Angebot überhaupt genutzt haben, könnte die Verwaltung mit einer einfachen Auswertung klären.
Zwar sind auch 4.000 Euro pro Quadratmeter beim Kauf, oder 12 Euro pro Quadratmeter Kaltmiete Wohnraum, der für irgendjemanden bezahlbar sein mag. Bezahlbaren Wohnraum zu schaffen, bedeutet ebensowenig, in Mehrparteienhäusern Mietwohnungen bereitzustellen, die Menschen mit Wohnberechtigungsschein vorbehalten sind. Abgesehen davon, dass Gemeinden solche Angebote grundsätzlich machen sollten, handelt es sich dabei um eine andere politische Debatte.Der bezahlbare Wohnraum, um den es eigentlich politisch gehen sollte, ist doch der, den sich junge Familien und ältere Menschen leisten können, die durchschnittliche Löhne und Gehälter verdienen, beziehungsweise eine durchschnittliche Altersversorgung haben. Wenn das Beispiel der Bergisch Gladbacher Straße bei den geplanten 85 Wohneinheiten auf der Ponywiese (Dhünner Wiese) Schule macht, wäre der politische Erfolg des Verkaufs der Fläche aus Gemeindeeigentum wohl verspielt. Die Gemeinde führte in ihrer Begründung für die Bauleitplanung eindeutig an, dass die Bebauung dem Zuzug junger Familien diene. Es wurde sogar explizit Köln als Ausgangspunkt der Umzüge genannt. Damit wäre der notwendige Ausgleich für die Abwanderung junger Odenthaler*innen zwischen 18 und 25 Jahren zu ermöglichen, deren Fortzug keinen Wohnraum freimacht.
Von der Intention des Generationenwechsels war bei der Begründung der Bebauung der Ponywiese ursprünglich nicht die Rede. Das bedeutet nicht, dass der demnächst neu geschaffene Wohnraum im Odenthaler Zentrum nicht so genutzt werden könnte. In der Ausschreibung der Ponywiese im Bieterverfahren war eines der Mindestkriterien immerhin noch ein „individuelles Angebot an Wohnungen mit dem Schwerpunkt senioren- und behindertengerechtes Wohnen“. Die Frage ist, ob das Angebot in Osenau finanziell attraktiv genug sein wird, um die Hauseigentümer*innen aus den anderen Ortsteilen dorthin zu locken.
Das würde erkennbar, wenn die Verwaltung die nötige Transparenz schafft, nachdem die 85 neuen Wohneinheiten bezogen sein werden. Dann wäre nämlich zum Beispiel evident, ob Wohnraum in Odenthal tatsächlich bezahlbarer geworden ist. Dafür müsste allerdings der Quadratmeterpreis für den Kauf oder die Miete zum Beispiel signifikant unter dem Durchschnitt des Kreises liegen. Prinz Hubertus zu Sayn-Wittgenstein-Berleburg hat nach Angabe der Verwaltung im Bieterverfahren den Zuschlag für die Fläche bekommen (Quelle: Begründung nach §4 Absatz 1 Baugesetzbuch zum Bebauungsplan-Vorentwurf Nr. 78 – Dhünner Wiese -, Stand Mai 2019). Als Odenthaler Bürger und CDU-Politiker hat er nun die herausragende Möglichkeit, etwas für das Allgemeinwohl zu tun: In verdichteter Bebauung preisgünstigen Wohnraum schaffen, in den junge Familien von außerhalb, und ältere Odenthaler*innen einziehen. Damit wäre die Bevölkerungszahl stabilisiert, der Generationenwechsel erleichtert, und die Immobilienpreissteigerung gebremst. Wenn allerdings die Preise, wie zuletzt an der Bergisch Gladbacher Straße statt dessen über dem Durchschnitt liegen sollten, ginge es dem Investor wohl doch nur um den eigenen Gewinn. Es entspricht naturgemäß dem Muster der Investition, Geld in etwas hineinzustecken, aus dem möglichst viel mehr Geld wieder herauskommt. Dagegen ist aus Sicht eines Investors nichts einzuwenden. Nur wären damit alle politischen Ziele der Gemeinde bis auf eines, den Bevölkerungszuwachs, vermutlich verfehlt. Fläche versiegelt, Immobilienpreise gestiegen, kein Generationenwechsel, kein Zuzug junger Familien, kein bezahlbarer Wohnraum. Eine nachhaltige Politik sollte aber unbedingt über den Einmaleffekt eines Verkaufserlöses hinausgehen.
Eine andere Entscheidung mit Signalwirkung steht dieses Jahr schon an: Der Verkauf des Gemeinde-Objektes in der Sankt-Engelbert-Straße 52 an einen privaten Investor. Dort gibt es derzeit 8 günstige Mietwohnungen. In einem ersten Entwurf eines Interessenten war ein Neubau mit 22 Einheiten geplant.
Wenn der Generationenwechsel als politisches Ziel ernst gemeint ist, müssen den älteren Hauseigentümer*innen tatsächliche Anreize geboten werden, innerhalb Odenthals umzuziehen. Die Entwicklung auf der Ponywiese wird endgültig zeigen, ob das mit privaten Investoren gelingen kann. Das von verschiedenen Odenthaler Fraktionen angeführte Beispiel der Gemeinde in Hiddenhausen bei Herford setzt seit 2007 den Impuls bei den jungen Käufer*innen von mindestens 25 Jahre alten Bestandsimmobilien. „Jung kauft Alt – Junge Menschen kaufen alte Häuser“ ist der Titel eines Förderprogramms dieser Gemeinde. Das ist in Odenthal vielleicht aber gar nicht das Problem. Interesse an alten Häusern dürfte bei jungen Familien ausreichend vorhanden sein. Hier müsste das Motto einer zielführenden Fördermaßnahme analog wohl eher lauten: „Alt verkauft alt“.