Von Sendern und Empfängern

Eine Beschwerde über ein Sonderamtsblatt sollte in der Sitzung des Haupt- und Finanzausschusses der Gemeinde am 9.3.2021 beraten werden. Das Medienprojekt Odenthal hatte im Vorfeld einen Beitrag dazu veröffentlicht. Zur Erinnerung: Die Beschwerde richtete sich gegen den Bürgermeister, weil dieser nach der Darstellung der Beschwerde einen im Landesrecht Nordrhein-Westfalens gesetzlich verbindlichen Prozess für die Herbeiführung einer Dringlichkeitsentscheidung nicht eingehalten hatte. Die Beschwerde leitete detailliert her, dass es sich bei dem Sonderamtsblatt um eben eine solche Eilentscheidung gehandelt hatte. Damit sei klar, dass es sich nicht um etwas aus dem Tagesgeschäft handeln könne, das der Bürgermeister hätte allein entscheiden dürfen.

Im Vorfeld hatte der Bürgermeister eine Sachverhaltsdarstellung veröffentlicht, die im Wesentlichen in der Wiederholung der Chronologie bestand, die in der Beschwerde ebenfalls schon aufgezeigt worden war. Auf die in der Beschwerde begründete Eigenschaft des Sonderamtsblattes als vermeintlich dringend erforderliche Maßnahme zur Abwendung eines Schadens von der Gemeinde ging der Bürgermeister in seiner Sitzungsvorlage allerdings nicht konkret ein.

Er stellte zwar in seiner Darstellung des zeitlichen Ablaufes fest, dass mit der Veröffentlichung des Sonderamtsblattes die 17. Flächennutzungsplanänderung wirksam, und der Bebauungsplan Nr. 78 in Kraft getreten sei. Er wies im nächsten Satz auch darauf hin, dass die Inkraftsetzung eines Bebauungsplanes durch Bekanntmachung ein Geschäft der laufenden Verwaltung, also Tagesgeschäft des Bürgermeisters sei. Das hatte der/die Einreicher*in der Beschwerde als Grundsatz nicht bestritten, jedoch argumentiert, ein Sonderamtsblatt wenige Tage vor dem Erscheinen des nächsten regulären Amtsblattes weiche von eben dieser Routine ab. Das besonders dann, wenn damit ein Schaden von der Gemeinde abgewendet werden muss. Diesen Zusammenhang, und damit den eigentlichen Vorwurf, kommentierte der Bürgermeister in seiner Vorlage jedoch nicht. Er verwies statt dessen auf den Paragraphen 12, Absatz 3 der Hauptsatzung der Gemeinde. Dieser Paragraph in der derzeit gültigen Fassung der Hauptsatzung vom 28.03.2017 hat allerdings nur zwei Absätze. Den gleichfalls vom Bürgermeister angeführten Paragraphen 41, Absatz 3 der Gemeindeordnung Nordrhein-Westfalens gibt es zumindest. Aber auch dieser bestätigt nur, was die Beschwerde nicht bestreitet: Geschäfte der laufenden Verwaltung gelten im Namen des Rates als auf den Bürgermeister übertragen […]“. Mit dem ebenfalls in der Vorlage der Verwaltung herangezogenes Urteil des Oberverwaltungsgerichts von 2003 lässt sich auch kein Bezug zum eigentlichen Kern der Beschwerde herstellen.

Wie üblich folgte der wenig themenbezogenen Sachverhaltsdarstellung in der Sitzungsvorlage dennoch der vorhersehbare Beschlussvorschlag der Verwaltung: „Dem Haupt- und Finanzausschuss wird empfohlen, der Beschwerde gem. § 24 GO NW nicht stattzugeben.“

So wie bereits im Vorfeld der Sitzung die Beschwerde und die Sachverhaltsdarstellung der Verwaltung als Sender und Empfänger scheinbar aneinander vorbeiliefen, ging es im Ausschuss selbst dann weiter. Ein konkreter Versuch der FDP, mit den Vorwürfen der Beschwerde gleich zu Beginn des Tagesordnungspunktes eine Debatte zu initiieren, scheiterte schlicht daran, dass darauf niemand inhaltlich einging. Nachdem das nach Wortmeldungen des Fraktionsvorsitzenden von Bündnis 90/Die Grünen und des Bürgermeisters offenkundig wurde, reklamierte die Sprecherin der FDP eine inhaltliche Diskussion ihrer Einlassungen. Dazu erklärte Bürgermeister Robert Lennerts, er sehe keine Notwendigkeit, auf ihre Ausführungen nochmal näher einzugehen. Bevor sie das Amtsblatt veröffentlicht hätten, habe man sich intensiv mit allen rechtlichen Vorschriften befasst. Es sei alles Erdenkliche abgeprüft worden.

Diese unmissverständliche Ablehnung einer Debatte steht nebenbei im Widerspruch zur jüngst veröffentlichten Niederschrift zur Sitzung. Darin heißt es: „Herr Bürgermeister Lennerts lässt nach intensiver Beratung über den weitergehenden Beschlussvorschlag, den der Verwaltung, abstimmen“. Die Teilnehmer*innen an dieser Sitzung, weder im Plenum, noch im Zuschauer*innen-Raum, werden sich an eine Beratung im üblichen Sinn erinnern können, die sich mit dem eigentlichen Kern der Beschwerde befasst hätte.

So oder so ist unklar, was eigentlich letztendlich beschlossen wurde. Der Beschwerde wurde, entsprechend dem Vorschlag der Verwaltung, jedenfalls nicht stattgegeben. Im juristischen Sprachgebrauch dürfte das bedeuten, dass die Beschwerde unzulässig oder unbegründet war. Eine Unzulässigkeit hätte wohl dazu geführt, dass sie erst gar nicht auf die Tagesordnung des Haupt- und Finanzausschusses genommen worden wäre. Also muss sie unbegründet sein. Daraus lässt sich wiederum logisch nur schlussfolgern, dass die Mehrheit des Ausschusses der Ansicht war, dass das Sonderamtsblatt nicht den in der Beschwerde dargestellten Charakter eines Dringlichkeitsbeschlusses hatte, sondern doch nur „ein Geschäft der laufenden Verwaltung“ war.

Bündnis 90/Die Grünen ersparten sich durch kollektive Stimmenthaltung, dazu eine Auffassung zu vertreten. Dabei gibt die Erklärung ihres Fraktionsvorsitzenden für dieses politische Ausweichmanöver Anlass zum Nachdenken. Noch einen Schritt weiter zu gehen, der im Ergebnis keine Änderung hervorruft, erachtete er für seine Fraktion als nicht zielführend. Daher werde man sich bei der Abstimmung enthalten.

Die in der Beschwerde aufgeworfene Kernfrage lautete: Hat der Bürgermeister gegen Landesrecht verstoßen, oder nicht? Eine Klärung darüber kann in allgemeinem Interesse sein, und muss nicht zwangsläufig zu einem bestimmten Ziel führen. Die Änderung im Ergebnis, von der in der Erklärung des Fraktionsvorsitzenden von Bündnis 90/Die Grünen die Rede war, ist wohl im Bezug auf die Bebauung der Ponywiese zu verstehen. Wenn also die Beschwerde geeignet gewesen wäre, diese im Ergebnis doch noch zu verhindern, hätte Bündnis 90/Die Grünen sich nicht enthalten?

Die weitere Feststellung des Fraktionsvorsitzenden, zu diesem Punkt sei bereits alles gesagt, muss zumindest bezweifelt werden. Der konkrete Vorwurf des vermeintlichen Verstoßes gegen einen bestimmten Paragraphen im Landesrecht, der in der Beschwerde beschrieben wird, war niemals zuvor Gegenstand der öffentlichen Debatte. Dem Bürgermeister wurde von verschiedenen Gemeinderatsfraktionen zwar politisch schlechter Stil vorgeworfen, weil er mit dem Sonderamtsblatt Tatsachen geschaffen habe, die weitere Abstimmungen zur Bauleitplanung für die Ponywiese obsolet machten. Dass die Veröffentlichung des Sonderamtsblattes durch alleinige Entscheidung des Bürgermeisters eine Missachtung geltenden Landesrechts sein könnte, wurde vor der Beschwerde so nicht in den Raum gestellt.

Bündnis 90/Die Grünen entschieden sich, mit ihrer Enthaltung politisch zur Seite zu treten. Die Mehrheit von 6 Stimmen der CDU gegen 3 Stimmen der SPD und 2 Stimmen der FDP erklärten dann wenig überraschend die Beschwerde für unbegründet, beziehungsweise: Der Beschwerde wurde nicht stattgegeben.