Im letzten Wahlkampf und gefühlt in jeder Debatte, in der es um die Wohn- und Baupolitik in Odenthal geht, stützen Politiker*innen ihre jeweiligen Positionen mit dem gefälligen Argument des „bezahlbaren Wohnraums“. Als politisches Ziel und gemeinsamer Auftrag an eine funktionierende Gesellschaft schließt man sich rasch dieser Zielsetzung an. Nur ist bisher nirgendwo eine detaillierte Erklärung aufgetaucht, in der erläutert wird, was „bezahlbar“ im Kontext zur Finanzierung von privatem Wohnraum ist. Welches konkrete Ziel streben die im Gemeinderat Odenthals vertretenen Fraktionen und der Bürgermeister gemeinsam oder voneinander abweichend eigentlich in diesem Punkt an?
Nun stehen die Odenthaler Entscheider*innen mit diesem Definitionsproblem wohl nicht alleine da. Es ist symptomatisch für die insgesamt diffus geführte Debatte um „bezahlbares Wohnen“, dass man sich diesbezüglich wohl nicht festlegen will oder kann. Um nur ein Beispiel zu nennen, sei erwähnt, dass in dem im September 2020 veröffentlichten Ergebnisbericht eines „Wohnungsmarktgutachtens über den quantitativen und qualitativen Wohnungsneubaubedarf in Nordrhein-Westfalen bis 2040“ des Ministeriums für Heimat, Kommunales, Bau und Gleichstellung des Landes Nordrhein-Westfalen auf 88 Seiten vielfach die Bezahlbarkeit von Wohnraum als prägendes Kriterium für die Politik erwähnt, aber nicht ein einziges Mal konkret beschrieben wird.
Dieser Beitrag soll zeigen, dass es möglich ist, zu diesem Thema konkret zu werden. Die hier beschriebene Herangehensweise erhebt dabei nur den Anspruch, ein tatsächlich praktisch anwendbarer Ansatz zur Lösung eines offensichtlich bestehenden Konkretisierungsproblems zu sein. Es geht also.
Das Adjektiv „bezahlbar“ sollte im Kontext mit Wohnraum nicht beschreiben, was Einzelne eventuell zu leisten imstande sind, sondern eine planerische und finanzielle Verlässlichkeit für große Teile der Bevölkerung definieren. Da es sich nicht um eine wortwörtliche, sondern um eine politische Fragestellung handelt, wird „bezahlbar“ als Synonym in diesem Beitrag in Anführungszeichen gestellt. Das Gegenteil von „bezahlbar“ ist auch nicht „unbezahlbar“. Es gibt keine Wohnungen oder Häuser, die unbezahlbar sind, solange es Personen gibt, die sie bezahlen können. In diesem Sinne stehen die etablierten Begriffe „bezahlbar“ und „unbezahlbar“ nur für die Preise von Wohnraum, die in einer real existierenden Gesellschaft unter den gegebenen Umständen einen stabilisierenden, oder einen destabilisierenden Einfluss auf diese Gesellschaft haben.
Es muss also zunächst darum gehen, zu verstehen, was „bezahlbarer“ Wohnraum überhaupt ist. Ferner muss der Begriff abgegrenzt werden, um das Problem nicht zu missdeuten. Sozialer Wohnungsbau und „bezahlbarer“ Wohnraum sind zum Beispiel zwei Begriffe, die zwar sachlich etwas miteinander zu tun haben, aber in zwei von einander getrennte politische und gesellschaftliche Debatten gehören. Die politischen Werkzeuge des sozialen Wohnungsbaus wurden für Personengruppen geschaffen, „die sich insbesondere aufgrund ihres Einkommens nach Maßgabe landesrechtlicher Bestimmungen am Markt nicht angemessen versorgen können und auf Unterstützung angewiesen sind“ (Quelle: Verwaltungsvereinbarung über die Gewährung von Finanzhilfen des Bundes im Bereich des sozialen Wohnungsbaus im Programmjahr 2021).
Da „bezahlbarer“ Wohnraum eine häufig verwendete, jedoch bisher politisch unbestimmte Kategorie von Mietwohnungen und Wohneigentum ist, wird oftmals der Themenkomplex des „bezahlbaren“ Wohnraums mit sozialem Wohnungsbau gleichgesetzt. Sozialer Wohnungsbau und „bezahlbarer“ Wohnraum können jedoch logisch gar nicht dasselbe sein. „Bezahlbarer“ Wohnraum wäre dann nämlich der, den sich die Mieter*innen, die in ihm leben, mit eigenem Einkommen ohne fremde Hilfe nicht leisten können. Er wäre für sie im eigentlichen Wortsinn unbezahlbar. Es ist offensichtlich, dass dieser Widerspruch nicht aufgelöst werden kann. Damit ist bewiesen, dass die Verfügbarkeit von sozialem Wohnungsbau nicht mit der Lösung des Problems „bezahlbaren“ Wohnraums gleichgesetzt werden kann.
„Bezahlbarer“ Wohnraum sind andererseits auch nicht Wohnungen oder Häuser, für die sich früher oder später Personen finden, die den geforderten Miet- oder Kaufpreis bezahlen. Ihm wird nicht die Qualität der „Bezahlbarkeit“ dadurch zugemessen, dass er verkauft oder vermietet werden konnte. „Wenn er nicht bezahlbar wäre, stünde er leer“, ist keine Beweisführung für „bezahlbaren“ Wohnraum im politischen Diskurs. Um das mit einem Extrem zu verdeutlichen: Sollte in Monaco eine relevante Quote an Wohnraum nicht über längere Zeiträume leerstehen, wäre das der Beweis, dass dort nur „bezahlbarer“ Wohnraum angeboten wird. „Bezahlbarer“ Wohnraum kann demzufolge nicht als absoluter Zustand angenommen werden. Er ist als Begriff mit einer politischen, beziehungsweise mit einer sozialen Zielsetzung zu verstehen. Er stellt für die Gesellschaft eine akzeptable Situation im Bezug auf die hinnehmbaren Aufwendungen für einen existentiellen Bedarf dar. Der Begriff ist damit auch als Gegenmodell einer rein gewinnorientierten Preispolitik des Immobilienmarktes zu verstehen, auf dem Investoren Mieter*innen und Käufer*innen einen unverhältnismäßigen Anteil ihrer finanziellen Mittel für ihr Wohnen abverlangen.
Thematisch bewegt sich also „bezahlbarer“ Wohnraum zwischen den extremen Punkten der Menschen, die ihre Miete ohne Unterstützung nicht aufbringen können, und den Personen, für die Geld keine Rolle spielt.
Wie soll nun die politisch und gesellschaftlich im öffentlichen Diskurs für nötig befundene Korrektur der Preise am Immobilienmarkt bewerkstelligt, und „bezahlbarer“ Wohnraum geschaffen werden?
Dafür ist zunächst erforderlich, die Zielgrößen zu definieren. Das Beispiel Monaco sollte klar gemacht haben, dass ein räumlich beschränkter Lösungsansatz nicht funktioniert. Für Odenthal, dessen Bevölkerung vermutlich im Durchschnitt zu den besser Verdienenden gehört, festzulegen, was speziell in dieser Gemeinde als „bezahlbar“ gelten kann, ist das Modell „Monaco“, nur auf einer anderen Ebene. Eine Politik mit dieser Prämisse wirkt nicht auf „bezahlbaren“ Wohnraum hin, sondern auf eine privilegierte Bevölkerungsstruktur.
Auch in Odenthal haben bisher weder die politischen Fraktionen noch der Bürgermeister der Öffentlichkeit eine Definition für den „bezahlbaren“ Wohnraum angeboten, zu dem sich aber alle seit geraumer Zeit wiederholt politisch bekennen. Wenn das Ziel nicht beschrieben ist, kann jedoch nicht festgestellt werden, ob es erreicht wurde, oder ob man sich ihm auch nur nähert. Die Wirksamkeit von Maßnahmen zur Erreichung eines nicht näher bestimmten Zieles kann nicht gemessen werden, wenn die Veränderung zum Besseren oder zum Schlechteren nicht feststellbar ist.
Vorausgesetzt, Odenthal verfolgt nicht das politische Ziel, eine Gemeinde der Besserverdienenden zu sein, sondern ehrlich an der Schaffung „bezahlbaren“ Wohnraums auf kommunaler Ebene mitwirken zu wollen. Dann gibt es dafür konkrete Ansätze für plausible Zielgrößen.
Der folgenden Darstellung soll vorangestellt werden, dass es dabei um Modelle und eine systematische Betrachtung geht. Hierfür werden Zahlen aus bestimmten Quellen herangezogen. Es ist klar, dass unterschiedliche Quellen möglicherweise voneinander abweichende Daten zum selben Sachverhalt liefern können. Wem die eine oder andere der folgenden Quellen nicht zusagt, kann das Modell gerne durch alternative belastbare Zahlen ersetzen. Erstens werden sie voraussichtlich nicht entscheidend abweichen, zweitens wird dadurch nicht das Modell selbst infrage gestellt. Hier soll nachgewiesen werden, dass es tatsächlich mit einfachen Mitteln möglich ist, sich zu einer konkreten politischen Position zum „bezahlbaren“ Wohnraum zu bekennen, diese zu beschreiben, und Maßnahmen zu entwickeln, das Ziel zu erreichen.
Bei der Betrachtung der maximal vertretbaren Mietaufwendungen im Verhältnis zum individuellen Einkommen wird häufig eine Regel angewendet, welche die Kosten für die Kaltmiete auf 30 Prozent des Nettoeinkommens begrenzt. Zum Beispiel das Handelsblatt hat das Durchschnittseinkommen in Deutschland mit 47.700 Euro ermittelt. Das sind 3.975 Euro brutto im Monat. Daraus ergibt sich ein Nettoeinkommen von 2526,26 Euro pro Monat (Quelle: www.handelsblatt.com, 26.3.2021, „So hoch ist das Durchschnittsgehalt in Deutschland“).
Wendet man die Regel an, sollte die Kaltmiete nicht über 757,88 Euro liegen.
An dieser Stelle noch einmal der Hinweis: Wer es für die politische Debatte in Odenthal wichtig findet, kann statt 3.975 Euro die für Nordrhein-Westfalen separat vom Handelsblatt ermittelten 4.429 Euro zugrunde legen, und auf dieser Basis weiterrechnen. Die relevanten Werte werden sich um ein paar Euro verschieben, das Fazit bleibt das gleiche.
Im Beitrag über den Generationenwechsel wurde auf aktuelle Mietangebote in Odenthal hingewiesen, die bei über 12 Euro pro Quadratmeter lagen. Bei 757,88 Euro maximalem Budget ergeben sich für Durchschnittsverdiener damit 63,16 Quadratmeter Wohnfläche als Perspektive. In dieser Größe wird es sich in der Regel um Wohnungen mit 2 Zimmern handeln. Die häufig in den Blick genommenen jungen Familien kommen damit nicht aus. Rechnet man eine ihrem Bedarf eher entsprechende Wohnung mit 3 Zimmern und 107,71 Quadratmetern Fläche – so wie tatsächlich angeboten – mit 1.300 Euro Kaltmiete einmal anders herum, kommt man zu dem Ergebnis, dass unserer jungen Familie ein Nettoeinkommen von zirka 4.333,33 Euro netto zur Verfügung stehen muss, um den 30-Prozent-Rahmen nicht zu verlassen. Damit läge ihr Einkommen allerdings fast 72 Prozent über dem Durchschnitt.
Es ist klar, dass dieses Rechenmodell trotz zweier Nachkommastellen nicht präzise ist, da zahlreiche Details nicht berücksichtigt sind. Dennoch ist eines nicht zu bestreiten: 12 Euro pro Quadratmeter Kaltmiete lassen sich nicht als „bezahlbarer“ Wohnraum im Sinne eines gesellschaftlichen Zielbildes darstellen, wenn das Durchschnittseinkommen um so viel übertroffen werden muss, um mit einem vernünftigen Teil davon die Miete bezahlen zu können.
Nachdem wir festgestellt haben, was „bezahlbarer“ Wohnraum nicht ist, wenden wir uns der Frage zu, welche Preise für Wohnraum „bezahlbar“ sind. Legt man die bereits verwendeten Durchschnittswerte zugrunde, müsste für die 107,71 Quadratmeter große Wohnung die Kaltmiete auf etwa 7,04 Euro pro Quadratmeter festgelegt sein, um nach unserem Modell für eine junge Familie mit dem Durchschnittseinkommen eines alleinverdienenden Elternteils als gute Entscheidung auf der Basis einer verantwortungsbewussten Kalkulation der finanziellen Möglichkeiten zu gelten.
Wer sich angesichts dieser Zahlen unbehaglich fühlt, sollte sich vielleicht nicht mit einer entsprechenden zahlenmäßigen Betrachtung „bezahlbaren“ Wohnraums für die nicht mehr berufstätige Generation belasten: Die ZEIT online hat in einem Artikel vom 11. Dezember 2020, „Durchschnittliche gesetzliche Rente liegt unter 1.000 Euro“, die durchschnittliche gesetzliche Rente mit 982 Euro beziffert.
Um es kurz zu machen: Bei 12 Euro pro Quadratmeter gibt es für 30 Prozent davon 24,55 Quadratmeter Wohnfläche kalt. Ein oder zwei Personen können sich schon eher auf die zuvor genannten 63,16 Quadratmeter beschränken. Die gesetzliche Durchschnittsrente müsste dafür allerdings um 257 Prozent übertroffen werden, um die Regel der 30 Prozent Mietanteil zu wahren.
Mit anderen Worten: Die Bezüge aus der Altersversorgung müssen dem aktuellen Durchschnittsnettoverdienst von Arbeitnehmer*innen entsprechen, um vermeiden zu können, dass für die Miete einer 63 Quadratmeterwohnung die eventuell vorhandenen finanziellen Reserven allein für die Kaltmiete schon angegriffen werden müssen.
Am 3.9.2015 stimmte der Ausschuss für Planen und Bauen dem vorgelegten Bebauungskonzept für ein „seniorengerechtes Mehrfamilienwohnhaus“ an der Bergisch Gladbacher Straße einmütig zu. In diesem Mehrfamilienhaus wurde die 107,71 Quadratmeter große Wohnung für 1.300 Euro kalt angeboten, auf die in diesem Beitrag Bezug genommen wird. Auf der Plattform Immowelt wurde noch im Januar 2021 eine 107,71 Quadratmeter große 3-Zimmer-Wohnung in diesem Haus für 529.900 Euro zum Verkauf gestellt, was etwa 4920 Euro pro Quadratmeter entspricht. Während vielleicht eine barrierearme Bauweise und Infrastruktur seniorengerecht sein mag, ist es die Preisgestaltung beim Kauf oder der Miete einer solchen Wohnung unter den genannten finanziellen Rahmenbedingungen für die Durchschnittsrentner*innen nicht. Ein Generationenwechsel, wie er in relevantem Umfang für Odenthal wünschenswert wäre, lässt sich mit diesem Muster wohl nicht realisieren, auch wenn die Altersversorgung in der Gemeinde über dem Durchschnitt liegen mag.
Das Mehrfamilienhaus an der Bergisch Gladbacher Straße ist damit kein gutes Beispiel für einen Neubau mit positivem Einfluss auf die „Bezahlbarkeit“ von Wohnraum. Es ist sogar der gegenteilige Effekt zu befürchten, da die erzielten Miet- und Kaufpreise in die Kalkulation der Investoren für künftige Projekte eingehen. Das Projekt wird demzufolge perspektivisch mit dazu beitragen, dass die Preise in Odenthal weiter steigen. Die bevorstehende Bebauung der Ponywiese kann allein schon aufgrund ihres Umfangs diesen Trend entweder bremsen oder verstärken. Die Odenthaler*innen werden es erleben. Die Politik wird hoffentlich ihre Schlüsse für ihre künftige Strategie für den Zuzug junger Familien, den Generationenwechsel und „bezahlbaren“ Wohnraum daraus ziehen.
Dafür müssten aber Rechenmodelle in politische Strategien übersetzt werden. Zum Beispiel könnte ein Mittelwert als führender Maßstab bestimmt werden. Ob das am Ende 7 Euro, 8,50 Euro, oder 9,20 Euro sind, ergibt sich aus den letztlich zugrunde gelegten Werten, die in die Formeln eingesetzt werden. Abweichungen nach oben und nach unten ließen sich mit Quoten qualifizieren. So würde ein detailliertes und auch differenziertes Zielbild für Odenthal entstehen, an dem sich politische Entscheidungen orientieren können.
„2019 war ein Rekordjahr für ein Mehr an Wohnungen in Nordrhein-Westfalen: 45.970
Wohnungen in Wohn- und Nichtwohngebäuden standen mehr als im Vorjahr zur Verfügung“, schreibt NRW-Bauministerin Ina Scharrenbach gleich als ersten Satz in Ihrem Vorwort zum Wohnungsmarktgutachten Nordrhein-Westfalen vom September 2020. Angesichts der Preissteigerungen 2020 ist zumindest der Nachweis erbracht, dass die Erhöhung des Angebotes keinen positiven Effekt auf „bezahlbaren“ Wohnraum hat. Wer dafür dennoch unbeirrt wirbt, sollte belegen, womit sein oder ihr Optimismus begründet werden kann.
„Eine der wichtigsten Herausforderungen besteht auch zukünftig in der Sicherstellung der Bezahlbarkeit von Wohnen für alle Bevölkerungsschichten“ (Quelle ebenfalls: Ministerium für Heimat, Kommunales, Bau und Gleichstellung des Landes Nordrhein-Westfalen, Wohnungsmarktgutachten Nordrhein-Westfalen, Ergebnisbericht, September 2020, Seite 76). Damit ist das hier zur Diskussion gestellte Modell für eine qualifizierte Bestimmung „bezahlbaren“ Wohnraums auf der Basis der Betrachtung durchschnittlicher finanzieller Möglichkeiten der arbeitenden und der verrenteten Bürger*innen hinreichend gerechtfertigt.
Das alles muss Odenthal letztlich nicht davon abhalten, ein kleines Monaco zu werden. Einen ortsansässigen Prinzen kann die Gemeinde ja immerhin ebenfalls vorweisen. Es wäre dann allerdings ehrlicher, ein Interesse an „bezahlbarem“ Wohnraum nicht weiter zu postulieren, während man mit aktuellen und künftigen Investorenmodellen bei Neubauvorhaben durch ein weiterhin unreglementiertes „freies Spiel der Kräfte“ am Immobilienmarkt letzten Endes das Gegenteil bewirkt.