Ganz oder gar nicht

Politiker*innen des Rheinisch-Bergischen Kreises möchten scheinbar eine konkrete Debatte über eine Abwahl des Landrates Stephan Santelmann vermeiden. Statt dessen soll das Problem gelöst werden, indem er wesentliche Teile seiner Aufgaben als Verwaltungschef an Führungskräfte seiner Organisation abtritt.

In privaten Unternehmen werden redensartlich Führungskräfte als „Frühstücksdirektoren“ bezeichnet, die in der eigenen Organisation möglichst unschädlich gemacht sind, obwohl ihre Funktion und ihre Gehaltsstufe äußerlich auf einen hohen Wirkungsgrad hindeuten. Ihre Hauptaufgabe besteht aber häufig nur noch darin, ihre Arbeitgeber*innen bei offiziellen Anlässen augenscheinlich hochrangig nach außen zu repräsentieren. Die bisherige Berichterstattung zur Situation im Kreishaus drängt den Vergleich auf.

„Frühstücksdirektor*in“ wird jemand, wenn zwei Faktoren zusammenkommen: Für das Unternehmen negativ spürbare fachliche Defizite oder persönliche Fehlstellungen bei der Führung von Mitarbeiter*innen lassen sich bei der Führungskraft nicht mit vertretbarem Aufwand nachhaltig korrigieren. Und aus irgendeinem Grund können oder wollen die Unternehmensleitung oder der Aufsichtsrat sich weder von der Person trennen, noch ihr Rang und Gehalt nehmen. Solche „Frühstücksdirektor*innen“ sind selten ein Indiz für eine starke und reife Unternehmensführung.

In diversen Artikeln berichten verschiedene lokale Medien seit einigen Wochen, dass Landrat Stephan Santelmann als Führungskraft einen relevanten negativen Einfluss auf den reibungslosen Betrieb der Verwaltung zu haben scheint, die er leitet. Mitarbeiter*innen, Personalrat und Vertreter*innen verschiedener Fraktionen im Kreistag äußerten sich mit teils dramatischer Wortwahl über die Situation im Kreishaus und die Person Stephan Santelmann als Verursacher.

Der Kölner Stadtanzeiger stellt in einem Artikel vom 7.7.2021 den neuen Aufgabenzuschnitt des Landrates für die Zukunft so dar, dass „sich Landrat Stephan Santelmann auf die „wichtigen repräsentativen Aufgaben“ des Kreises und dessen Vertretung in diversen Gremien sowie den Vorsitz in Kreisausschuss und Kreistag konzentriert“. Kreisdirektor Erik Werdel übernimmt „die Verwaltungsleitung und damit die operativen Aufgaben im Verwaltungsgeschäft.“

Es wäre wirklich nachvollziehbar, wenn darin Manche ein politisches Gegenstück zum „Frühstücksdirektor“ erkennen könnten.

Das Preis-/Leistungsverhältnis eines funktional erheblich reduzierten Landrats dürfte bei den Steuerzahler*innen allerdings für Stirnrunzeln sorgen. Die Besoldung ist jedoch ohnehin verbindlich geregelt, und orientiert sich in erster Linie an der Zahl der Einwohner*innen. Auch die Aufgaben sind weitgehend gesetzlich definiert. Wenn eine Kürzung der Bezüge gesetzlich nicht möglich ist, kann eine Reduzierung der Aufgaben eigentlich nicht erfolgen, ohne Steuergelder zu verschwenden.

Die öffentliche Berichterstattung über die neu vorgesehenen Zuständigkeiten des Landrates liest sich tendenziell eher wie das Ehrenamt des stellvertretenden Landrates, und nicht wie die Stellenbeschreibung eines nicht schlecht bezahlten kommunalen Wahlbeamten. Nach der Wahl seiner derzeit vier ehrenamtlichen Stellvertreter*innen gratulierte Stephan Santelmann noch: „Ich wünsche Ihnen alle Gute für Ihre Amtszeit und freue mich auf die enge und vertrauensvolle Zusammenarbeit. Gemeinsam können wir den Kreis bei sehr vielen Terminen repräsentieren. Dafür sind viele Vereine, Organisationen und Bürgerinnen und Bürger dankbar.“ Jetzt soll er selbst der fünfte sein?

Die vier Vertretungen entlasten den üblicherweise als Behördenleiter vielbeschäftigten Landrat zum Beispiel bei den zahlreichen Jubiläen, Einweihungen und hundertjährigen Geburtstagen im Kreis. Sie halten die Reden, durchschneiden das Band und überreichen die Blumen, damit sich der Landrat dringenderen Aufgaben widmen kann. Wenn die Vier etwas kosten würden, könnte der Kreis ihre Zahl demnächst wohl wenigstens erheblich reduzieren und Geld sparen, weil der Landrat in seinem künftigen Aufgabenschwerpunkt ja dann nicht mehr entlastet werden muss. Er würde sozusagen künftig hauptberuflich ein Ehrenamt ausüben.

Wenn die Strateg*innen der geplanten Neuorganisation nicht aufpassen, weisen sie mit einer weitreichende Umverteilung der operativen Aufgaben eventuell aus Versehen nach, dass der Landrat als Funkion eigentlich überflüssig ist. Für „Frühstücksdirektor*innen“ ist das zugegebenermaßen ein typisches Erkennungszeichen. Für das politische System wäre eine solche „Abwahl light“ den Bürger*innen aber vermutlich nicht lange darstellbar.

Landrät*innen sind abgesehen davon bestimmte Aufgaben gesetzlich verbindlich zugeschrieben. Sie sind deswegen gar nicht übertragbar. Wenn die Bezirksregierung Köln als höhere Verwaltungsbehörde sich kürzlich hinsichtlich einer anderen Aufgabenverteilung des Landrats im Rheinisch-Bergischen Kreis nach den Details erkundigte, könnte das eventuell damit zu tun haben. Sie hat als Aufsichtsbehörde darauf zu achten, dass der Landrat die ihm gesetzlich zugewiesenen Aufgaben notgedrungen auch behält. „Was vom Landrat übrig bleibt“, wie der Kölner Stadtanzeiger jüngst titelte, hängt also nicht unbedingt nur von den Deeskalationsbemühungen im vermeintlich gestörten Verhältnis zwischen dem Landrat und seinen Mitarbeiter*innen ab. Man kann der Verwaltungsbelegschaft ihren Chef also vielleicht nur bedingt ersparen.

Egal wie aktuell eine Landratswahl für Stephan Santelmann ausgehen würde, er ist 2017 von der Mehrheit der Rhein-Bergischen Wähler*innen gewählt worden, um die Aufgaben zu übernehmen, die das Amt ausmachen. Bestimmte Zuständigkeiten des Landrates müssen also der dafür demokratisch gewählten Person überlassen bleiben. Es ist zu prüfen, ob zum Beispiel ein Kreisdirektor als nicht von den Wähler*innen in das Amt gewählte Person Aufgaben übernehmen kann, die nur der gewählten Person vorbehalten sind. Bei solchen Fragestellungen in einer der Städte und Gemeinden des Rheinisch-Bergischen Kreises wäre gegebenenfalls wohl die Kommunalaufsicht in der Kreisverwaltung für eine entsprechende Prüfung zuständig. Chef des Leiters der Kommunalaufsicht des Kreises ist – der Landrat. Es sollte also eigentlich genug Expertise im eigenen Hause vorhanden sein, um sicher sein zu können, dass die geplanten Maßnahmen rechtlich auch zulässig sind.

In Medien und Politik wird häufig der Ältestenrat des Kreises genannt, in dem die Neuverteilung der Aufgaben des Landrates vorgestellt oder beraten worden seien. In der Gremienübersicht des Rheinisch-Bergischen Kreises wird der Ältestenrat unter „Interfraktionelle Arbeitskreise und Beiräte“ geführt. Er dürfte also keine politische Entscheidungsbefugnis haben. In der aktuellen Fassung der Zuständigkeitsordnung für die Fachausschüsse und sonstigen Gremien des Kreistages des Rheinisch-Bergischen Kreises wird er nicht erwähnt. Er hat also auch keine grundsätzlich definierte Zuständigkeit. Zuständig für „die Leitung und Verteilung der Geschäfte“ in der Kreisverwaltung sind laut der Kreisordnung für das Land Nordrhein-Westfalen pikanterweise die Landrät*innen selbst. In dem, was bisher an die Öffentlichkeit dringt, ist nicht erkennbar, dass Stephan Santelmann viel Freude an seinem neuen Aufgabenzuschnitt hat. Wenn das so bleibt, könnte es schwierig werden, etwas davon gegen seinen Willen durchzusetzen.

„Das Vertrauen der Bürgerschaft in diesen Landrat ist nicht mehr gegeben“, nimmt der Fraktionsvorsitzende der SPD in der aktuellen Lage auf der parteieigenen Website an. Wenn er richtig vermutet, ist die konsequente Abwahl von Stephan Santelmann einerseits notwendig, andererseits wahrscheinlich. Das ist entsprechend der Kreisordnung für das Land Nordrhein-Westfalen auch keine große Sache. Mindestens die Hälfte der gesetzlichen Zahl der Kreistagsmitglieder stellt einen entsprechenden Antrag, dem dann eine Mehrheit von zwei Dritteln der gesetzlichen Zahl der Kreistagsmitglieder zustimmt. Wenn das Vertrauen der Bürgerschaft in diesen Landrat tatsächlich nicht mehr gegeben wäre, könnte die Bürgerschaft von ihren gewählten Vertreter*innen wohl auch erwarten, dass sie die Konsequenzen ziehen, und ein Abwahlverfahren auf diese Weise einleiten.

Den Rest müssten dann die Wähler*innen des Rheinisch-Bergischen Kreises selbst machen. „Der Landrat ist abgewählt, wenn sich für die Abwahl eine Mehrheit der abgegebenen gültigen Stimmen der wahlberechtigten Bürger ergibt, sofern diese Mehrheit mindestens 25 Prozent der Wahlberechtigten beträgt“, erklärt die Kreisordnung für das Land Nordrhein-Westfalen hierzu. 2017 hatten etwas mehr als 233.000 Wahlberechtigte die Gelegenheit zur Stimmabgabe bei der Wahl des Landrates. Stephan Santelmann setzte sich in der Stichwahl durch, nachdem er im ersten Durchgang mit über 44 Prozent nicht die erforderliche absolute Mehrheit gegenüber den Gegenkandidat*innen erreicht hatte. Bei einer etwa gleichen Zahl von Wahlberechtigten 2021 bräuchte es demzufolge eine Mehrheit mit knapp 60.000 Stimmen, und Stephan Santelmann wäre abgewählt.

Die laufende Amtszeit von Stephan Santelmann ist übrigens 8 Jahre. 2021 ist erst Bergfest. Der Aufwand einer Wahl wird damit vertretbarer. Es stehen sonst noch 4 Jahre mit erhöhtem Puls und schlechter Performance bevor, wenn der Wind sich nicht nachhaltig legt. Sollte sich herausstellen, dass die geplante Konfliktvermeidung rechtlich nicht umsetzbar ist, und Stephan Santelmann sich nicht selbst anpassen kann oder will, bleibt alles mehr oder weniger beim Alten. Der aktuelle Sturm fand dann nur im Wasserglas statt. Das können vier lange Jahre werden.

„Ganz oder gar nicht“ könnte also in der Causa Santelmann das Motto für die Politiker*innen lauten. Wenn dieser Landrat tatsächlich so anstrengend ist, wie es den Anschein hat, muss er im Zweifel wohl doch abgewählt werden. Wenn das die Politik nicht über sich bringt, gäbe es noch die Alternative „eines von mindestens 15 Prozent der wahlberechtigten Bürger der kreisangehörigen Gemeinden gestellten Antrags“ zur Einleitung eines Abwahlverfahrens. Dazu wären zirka 35.000 Unterschriften aus dem gesamten Kreis nötig.

Der Landrat könnte so oder so binnen einer Woche nach einer Einleitung des Abwahlverfahrens übrigens auf die Entscheidung der Bürger*innen verzichten, und damit den eigentlichen Aufwand für die Durchführung der Abwahl dankenswerterweise vermeiden.