„Den Bedenken wird nicht gefolgt“

So lautete der Beschlussvorschlag der Verwaltung der Gemeinde Odenthal bei der Abwägung der Bedenken, die von verschiedenen Seiten hinsichtlich des Niederschlagswassers zum Bebauungsplan der Ponywiese (Dhünner Wiese) vorgebracht worden waren. Diesen Bedenken folgten kurz vor der Kommunalwahl im September 2020 die noch mit absoluter Mehrheit ausgestattete CDU-Fraktion und Bürgermeister Robert Lennerts nicht. Der Extremniederschlag am 15. Juli 2021 zeigt nun noch vor dem ersten Spatenstich, dass die Bedenken zu Recht geäußert wurden.

Die kamen auch nicht nur zahlreich von Privatpersonen oder Bürgerinitiativen. Das Amt für Umweltschutz des Rheinisch-Bergischen Kreises schrieb der Gemeinde am 13.5.2020: „Aufgrund der zunehmenden extremen Niederschlagsereignisse wird es heutzutage auch für erforderlich gehalten, die Fließwege des Wassers bei Extremereignissen zu identifizieren, um Schaden an Personen sowie öffentlichen und privaten Sachgütern auszuschließen“. Der Hinweis der Behörde stand im Zusammenhang mit einer Überflutungsprüfung [Anmerkung der Redaktion: Eigentlich „Überflutungsnachweis“] nach DIN 1986, Teil 100, die Teil des Entwässerungskonzeptes der Verwaltung ist. Damit gab die Behörde dem Rathaus zu verstehen, dass eine solche Prüfung, wenn auch einer Norm entsprechend, angesichts des Klimawandels womöglich nicht ausreicht. Ein Grund dafür könnte sein, dass bei der Bewertung nach DIN die Dauer der Niederschläge zeitlich begrenzt werden, zum Beispiel auf 15 Minuten.

Am 25.6.2020 enthielt die Stellungnahme zum Bebauungsplan der Ponywiese aus Sicht dieser Unteren Umweltschutzbehörde erneut diese Bedenken. Es wurde zudem wiederholt, dass die Überflutungsprüfung nach DIN sich nur „auf die Grundstücke und Gebäude selbst (objektbezogene Maßnahmen in Regie des Grundstückseigentümers)“ bezieht.

Am Beispiel Ponywiese wird nebenbei eine Schwäche der gebräuchlichen Festlegung von Ausgleichsmaßnahmen für Bauvorhaben deutlich. Die basiert auf einem allgemeinen Punktesystem, nach dem Eingriffe in den Naturhaushalt an einer Stelle durch Maßnahmen an einer anderen kompensiert werden. Im Fall der Ponywiese findet der Ausgleich des Eingriffs auf einer landwirtschaftlich genutzten Fläche am Schöllerhof statt. Eine der Funktionen der Auenwiese in Osenau ist allerdings die Rückhaltung und Versickerung von Niederschlagswasser, gut zu sehen im Titelbild zu diesem Beitrag. Den bebauten Grundstücken im Westen und Süden der Ponywiese hilft es allerdings wenig, wenn als Ersatz der natürlichen Funktion der Grünfläche bei der Niederschlagswasserverarbeitung eine Wiese am Schöllerhof künftig nicht mehr so oft gemäht wird.

Mit der weitgehenden Versiegelung der Ponywiese mit Gebäuden, Straßen und Plätzen sowie der Unterbauung der Fläche mit einer Tiefgarage wird die bisherige Versickerung und Rückhaltung nicht mehr gegeben sein. Daraus folgt, dass ein Konzept für die Niederschlagswasserbeseitigung entwickelt werden musste, das die Mitglieder des Gemeinderats und der Bürgermeister gegen die vorgebrachten Bedenken abwägen konnten. Hiernach wird künftig das Niederschlagswasser des Plangebietes vollständig, „einschließlich des Niederschlagswassers der Planstraße“, „in Richtung Osten abgeführt“. Der Regenwassersammler in der Straße An der Dhünn soll die Niederschlagsmengen aufnehmen. Die Verwaltung stellte dar, dass der vorgesehene, 134 Meter lange Kanal mit einem Meter Durchmesser auch „im Starkregenfall ausreichend Rückhaltevolumen“ bietet, bevor mit deutlich reduziertem Querschnitt von 30 Zentimetern der Durchlauf des eingeleiteten Regenwassers im weiteren Verlauf des Kanals gedrosselt wird.

Die vorgesehenen Flachdächer der geplanten Neubauten sollen außerdem „den Niederschlag bis zu einem 100-jährlichen Regenereignis zurückhalten können“. Im Bebauungsplan werden zusätzlich Senken im Plangebiet erwähnt, die bei Starkregenereignissen vorübergehend Wasser zurückhalten sollen.

Welchen Wassermassen das Entwässerungskonzept standhalten muss, vermittelt das Titelfoto zu diesem Beitrag. Es zeigt, mit freundlicher Erlaubnis der Fotografin zur Verwendung im Medienprojekt Odenthal, wie sich der Niederschlag am 15. Juli 2021 auf der Ponywiese sammelte, wohlgemerkt, nachdem das Erdreich bereits gesättigt war, und nicht mehr Wasser aufnehmen konnte. Nach der Versieglung der Oberfläche und dem Bau der Tiefgarage darunter wird kaum noch Wasser versickern. Das heißt, der komplette Niederschlag wird bis zu deren Höchststand die Flachdächer und Geländesenken füllen, bevor sie überlaufen. Wenn das Rückhaltevolumen im 134 Meter langen Kanal dann ebenfalls ausgeschöpft sein sollte, wird es nicht nur unmittelbar für das Plangebiet spannend.

Entsprechende Bedenken wurden von Bewohner*innen der im Westen und im Süden der Ponywiese liegende Gebäude im Rahmen der Bauleitplanung geäußert und vom Gemeinderat und vom Bürgermeister abgewogen. Den Bedenken wurde am Ende nicht gefolgt. Die Überflutungsprüfung nach DIN sei mit dem Ziel erstellt worden, „bei Starkregenereignissen weitestgehend das Niederschlagswasser im Plangebiet selbst zurückzuhalten, so dass benachbarten Grundstücken aus dem Plangebiet kein zusätzliches Niederschlagswasser zugeführt wird“ – hoffentlich länger als 15 Minuten.

Dafür haben die Ratsmitglieder und der Bürgermeister, die den Bedenken der Hauseigentümer*innen im Umfeld der Ponywiese nicht folgen wollten, wenigstens die politische Verantwortung übernommen. Nach Paragraph 1 des Baugesetzbuches sind „bei der Aufstellung der Bauleitpläne […] die öffentlichen und privaten Belange gegeneinander und untereinander gerecht abzuwägen.“ Obwohl es bereits abweichende Meinungen zur Notwendigkeit der Bebauung an sich gibt, steht in diesem Punkt der Bauleitplanung letztlich das zusätzliche Angebot von Wohnraum im Ortszentrum als öffentliches Interesse dem privaten Interesse des Eigentumsschutzes in den potentiell betroffenen Bestandsimmobilien gegenüber. Für die Mehrheit des Gemeinderates wog der Bedarf an zusätzlichem Wohnraum schwerer als das zusätzliche Überflutungsrisiko, das mit der weitgehenden Versieglung der Ponywiese und einem möglicherweise nicht hinreichend funktionierenden Entwässerungskonzept einhergeht. Das Risiko ihrer Bürger*innen erschien den betreffenden Ratsmitglieder und dem Bürgermeister am 8. September 2020 also hinnehmbar. Hoffentlich war diese Einschätzung richtig.

Falls nicht, dürfte Ahnungslosigkeit hinsichtlich eines bereits fortgeschrittenen Klimawandels keine der Personen für sich reklamieren können. Die Bedrohung durch Starkregen war vor einem Jahr genauso real wie jetzt, die Bedenken waren berechtigt und angemessen. Die bedauerlichen Ereignisse knapp ein Jahr später sind demzufolge keine Überraschung, sondern der Eintritt einer von zahlreichen offiziellen Stellen in Politik und Wissenschaft vorhergesagten Lage.

Zu einer Frage nach der Haftung verwies die Verwaltung bei der Abwägung pauschal auf den Paragraphen 823 des Bürgerlichen Gesetzbuches: „Wer vorsätzlich oder fahrlässig das Leben, den Körper, die Gesundheit, die Freiheit, das Eigentum oder ein sonstiges Recht eines anderen widerrechtlich verletzt, ist dem anderen zum Ersatz des daraus entstehenden Schadens verpflichtet.“ Die sehr allgemein gehaltene Auskunft deutet nicht darauf hin, dass die Klärung der Haftungsfrage für künftige Hochwasseropfer in der Nähe der Ponywiese einfach werden wird. Die Bedenken der Bürger*innen, die bei den extremen Niederschlägen vor einigen Tagen vielleicht noch einmal mit dem redensartlichen „blauen Auge“ davongekommen sind, werden so nicht weniger.

Die Frage ist so interessant, wie die Chance auf ihre Beantwortung wohl aussichtslos ist: Wären die Fraktionsmitglieder der CDU und der Bürgermeister den Bedenken hinsichtlich der vermeintlich durch die Bebauung der Ponywiese erhöhten Überschwemmungsrisiken auch dann nicht gefolgt, wenn Sie selbst in einem Haus auf der anderen Straßenseite der L101 leben würden?