Heul doch!

In Odenthal haben die Sirenen am 14. Juli nicht eine Minute lang an- und abschwellend geheult, als das Hochwasser kam, sondern gar nicht. Auch wenn sich Odenthal mit Regionen der Eifel oder anderen Teilen des Rheinisch-Bergischen Kreises in der Dramatik der Ereignisse weder messen will noch messen kann, erfüllten die Geschehnisse in der Gemeinde für sich allein betrachtet dennoch alle Kriterien einer Lage, in der die Bevölkerung mit Sirenen hätte gewarnt werden müssen.

Bei dem Bürgertreffen am 5. August im Forum des Schulzentrums, an dem über 70 Personen teilnahmen, die in ihren Häusern in den Straßen Dhünner Aue, In der Buchmühle, An der Dhünn, Sankt Pankratiusstraße und Umgebung dem Hochwasser ausgesetzt waren, war das dann natürlich auch ein Thema. Weder an Sirenen, noch an Lautsprecherwagen zur Warnung vor dem bevorstehenden Hochwasser konnte sich jemand im Kreise der Anwesenden erinnern. Die Erlebnisberichte des Abends deuteten jedoch darauf hin, dass ein zeitlicher Vorlauf in den Eigenheimen zur Reduzierung des Schadens und zur Verminderung persönlicher Risiken hätte genutzt werden können.

Hochwasser und Überschwemmungen waren bereits vor dem 14. Juli 2021 für den Rheinisch-Bergischen Kreis Krisenszenarien, auch für Odenthal. Das wird niemand ernsthaft bestreiten können. Damit rücken in einem strukturierten Krisenmanagement die Meldung und die Warnung zwangsläufig mit in den Fokus der Vorbereitung auf diesen definierten Ernstfall. Die Meldung der Gefahr erfolgte nach Lage der Dinge wohl mindestens 48 Stunden vor dem Hochwasser durch den Deutschen Wetterdienst. Der Kreis und seine Städte und Gemeinden waren also informiert. An die Notwendigkeit einer Warnung der Bevölkerung durch Sirenen, die ausdrücklich in Hochwasserlagen als Warnmittel definiert sind, musste von den verantwortlichen Stellen zumindest konkret gedacht werden. Dafür sind nach dem Gesetzes über den Brandschutz, die Hilfeleistung und den Katastrophenschutz (BHKG) des Landes Nordrhein-Westfalen der Rheinisch-Bergische Kreis und die Gemeinde Odenthal gemeinsam verantwortlich.

In Abschnitt 5.4 des derzeit gültigen Brandschutzbedarfsplans der Gemeinde Odenthal für die Jahre 2018 – 2023 wird unter der Überschrift „Warnung der Bevölkerung“ ausschließlich die Möglichkeit, „akustische Initialwarnungen oder sonstige Warnungen mit Warneffekten für die Bevölkerung sowie eine bedarfsgerechte geographische Selektivwarnung“ über die vorhandenen Feuerwehrsirenen“ beschrieben. „Dadurch können fast alle großen Wohngebiete akustisch erreicht werden“.

Der Brandschutzbedarfsplan weist dafür 4 Sirenen im Gemeindegebiet aus, deren Standorte in Voiswinkel (nach Inbetriebnahme des neuen Feuerwehr-Gerätehauses mit angeschlossener Rettungswache an der Küchenberger Straße), in Blecher, in Scheuren und in Eikamp sind. In dem Dokument findet sich auch ein Hinweis darauf, dass beim Betrieb der einheitlichen Leitstelle für den Brandschutz, die Hilfeleistung und den Katastrophenschutz des Rheinisch-Bergischen Kreises „auch die Maßnahmen zur Warnung der Bevölkerung, die als gemeinsame Aufgaben der Kreise und der kreisangehörigen Gemeinden normiert sind“, zu berücksichtigen sind. Der entsprechende Paragraph 3 des Gesetzes über den Brandschutz, die Hilfeleistung und den Katastrophenschutz (BHKG) des Landes Nordrhein-Westfalen beschreibt diese gemeinsame Aufgabe darüber hinaus auch als gemeinsame Verantwortung.

Folgerichtig nimmt Odenthal an den jährlichen Warntagen mit Probealarmen teil, zum Beispiel im November 2018, im September 2019, im September 2020, oder im März 2021. Initiiert von Bund oder Land steht stets die Sensibilisierung der Bevölkerung für das Sirenensignal als Warnung vor Gefahren im Vordergrund. Der Kreis übt demnach mit seiner Bevölkerung die Warnung mit Sirenen seit Jahren. Damit verknüpft er selbstverständlich eine Erwartung an seine Bürger*innen, sich im Gefahrenfall richtig zu verhalten, wenn er die Sirenen auslöst. Die sensibilisierten Bürger*innen verknüpfen damit allerdings anders herum richtigerweise auch die Erwartung an ihren Kreis, dass er sie im Gefahrenfall mit Sirenen warnt.

Auf der Website des Kreises wird zum Beispiel für den Warntag im März 2021 erläutert, dass zunächst die verschiedenen Sirenensignale im Fokus stehen, die viele Menschen nicht kennen würden. „Mit einem auf- und abschwellenden Heulton wird beispielsweise auf eine Gefahr hingewiesen“. „Neben der Erprobung der Sirenen dient der Tag auch dazu, grundlegende Informationen zu Warnanlässen und Warnmitteln sowie zu Verhaltensweisen zu vermitteln“, heißt es vom Kreis weiter.

Ein Warnanlass ist unter anderem Hochwasser. Im Flyer des Bundesamtes für Bevölkerungsschutz und Katastrophenhilfe und des Ministeriums des Inneren des Landes Nordrhein-Westfalen zum bundesweiten Warntag 2020 „#Warntag – Wir warnen Deutschland“ wird Hochwasser als Grund für Warnungen ausdrücklich mitgenannt.

Das für Odenthal im Brandschutzbedarfsplan einzige festgelegte Warnmittel ist die Sirene. Zur Warnung mit Sirenen heißt es auf der Website des Ministeriums des Inneren des Landes Nordrhein-Westfalen, auf die der Rheinisch-Bergische Kreis in seinen Warntagsankündigungen verweist: „Nur wenn Sie von der Gefahr wissen, können Sie sich über die Medien wichtige Informationen zum richtigen Verhalten und zur Gefahrenlage beschaffen“.

Nach diesem Stand der Dinge scheint klar geregelt zu sein: Bei Hochwasser warnen die gemeinsam für die Warnung der Bevölkerung verantwortlichen Kreis und Gemeinde die Einwohner Odenthals mit den vorhandenen Sirenen. Kreis und Gemeinde haben das im Brandschutzbedarfsplan gemeinsam festgelegt, und mit den Odenthaler*innen seit mehreren Jahren geübt.

Als das Hochwasser dann am 14. Juli nach Ankündigung des Deutschen Wetterdienstes wirklich passiert, muss man sich fragen, ob der Kreis bei den Warntagen mitgeübt und mitgedacht hat. Denn ausgerechnet, als die vereinbarte und erwartete Sirenenwarnung tatsächlich als Ernstfall ausgelöst werden soll, bekommen die Verantwortlichen des Kreises Bedenken, die Notrufleitungen in der erst 2019 neu gebauten Einsatzleitstelle könnten wegen vermehrter Nachfragen aus der Bevölkerung überlaufen. Das ist aus einigen Gründen verwunderlich. Zum Beispiel wird auf der Website des Kreisfeuerwehrverbandes des Rheinisch-Bergischen Kreises dieser Fall so beschrieben: „Zur Wahrnehmung ihrer gesetzlichen Aufgaben stehen der Kreisleitstelle am Kreishaus neue Räumlichkeiten sowie modernste Technik zur Verfügung. Neben sieben voll ausgestatteten Einsatzleitplätzen können zusätzlich vier Ausnahme-Abfrage-Plätze in Betrieb genommen werden, um eine hohe Anzahl paralleler Notrufe abfragen zu können, wie sie zum Beispiel bei Unwettern oder großen Schadenslagen auftreten können“.

Die Feuerwehr Odenthal informiert auf ihrer Website darüber, wie sich die Bevölkerung bei Sirenenalarm zu verhalten hat. Neben anderen Maßnahmen soll sie aktuelle Informationen über Lokalradiostationen wie Radio Berg oder WDR 2, über den WDR 3 als Regionalfernsehen, oder die Warn-App „NINA“ abrufen. Auf keinen Fall, heißt es abschließend eindringlich, solle man die Notruftelefonleitungen von Feuerwehr und Polizei durch Rückfragen blockieren, sondern nur im äußersten Notfall zum Telefon greifen.

Dass die Odenthaler sich trotzdem nicht richtig verhalten würden, nahm der Kreis jedoch wohl an, und entschied sich zum Schutz vor der von ihm befürchteten Überlastung sämtlicher Notrufleitungen dafür, die Sirenen nicht auszulösen.

Diese Bedenken sollten jedoch nicht erst am 14. Juli aufgekommen sein. Wenn beispielsweise die Erkenntnisse aus den Warntagen Anlass für solche Befürchtungen gegeben haben sollten, kann das verantwortliche Krisenmanagement nicht dessen ungeachtet die Sirenenwarnung alternativlos in den Plänen für Odenthal belassen. Dies umso weniger, wenn klar ist, dass in der echten Lage deswegen die Sirenen nicht ausgelöst werden können oder sollen.

Die entsprechende Frage stellt sich auch für die Wahrnehmung des Kreises, die mediale Berichterstattung sei nicht geeignet gewesen, den Sirenenalarm ausreichend zu flankieren. Für Odenthal wäre das noch zu prüfen, da mit Blick auf die Empfehlungen der Gemeindefeuerwehr davon auszugehen ist, dass „NINA“ entsprechende Informationen präsentiert hätte. Radio Berg hatte bereits am 13. Juli die Unwetterwarnung des Deutschen Wetterdienstes online gestellt. Selbst wenn der WDR nicht berichtet hätte, wären das zwei von drei verfügbare Quellen gewesen. Das ist andererseits eigentlich unerheblich, darf man doch erwarten, dass der Kreis in einer Krisensituation imstande wäre, eine eventuell mangelnde Berichterstattung der Medien sehr zeitnah proaktiv mit den betreffenden Redaktionen und Behörden zu verbessern. Wenn dafür keine Prozesse beschrieben sein sollten, spräche das wiederum nicht für die Qualität des Krisenmanagements auch in diesem Punkt.

Aus fachlicher Sicht eines professionellen Krisenmanagements ist das Ganze aus den genannten Gründen bedenklich und inakzeptabel. Die Warnung mit Sirenen als alternativlos für Hochwasser festgelegten Prozess jahrelang nicht zu hinterfragen und mit der Bevölkerung fleißig zu üben, dann im Ereignisfall die Sirenen stumm zu lassen, und anschließend dafür die Medien und die Bürger*innen verantwortlich zu machen, ist nach Lage der Dinge originell.

Der Kreis und die Gemeinde sind nach dem Gesetz für die Warnung der Bevölkerung verantwortlich. Es war also ihre Aufgabe, dafür zu sorgen, dass im Ernstfall die Warnung mit Sirenen wirksam gewesen wäre. Hätten sie dahingehend Bedenken gehegt, wäre es notwendig gewesen, die Sirenen durch andere geeignete Warnkonzepte zu ersetzen und die Bevölkerung darüber in Kenntnis zu setzen. Den Ernstfall abzuwarten, und sie nicht zu warnen, ist inakzeptabel. Ihr dann noch vorzuwerfen, sich nicht anderweitig gewarnt haben zu lassen, hat etwas. Es ist eben einfacher, für alles zuständig, aber für nichts verantwortlich zu sein. In diesem Fall kommt allerdings die Verantwortung ausdrücklich im Gesetzestext vor.

Immerhin geht es hier um Krise, Großschadensereignis, Existenzen, Eigentum und Leib und Leben, und nicht darum, dass in einer Verwaltung ein Vorgang falsch abgelegt worden ist. Mitarbeiter*innen sind zuständig, Manager*innen sind verantwortlich. Krise ist Aufgabe des Top-Managements. Was kann es Wichtigeres geben? Das wirft die Frage auf, wie Landrat Stephan Santelmann die durch Hochwasser verursachte Krise in seinem Kreis gemanagt hat, oder wie er sein Krisenmanagement am 14. Juli und den darauf folgenden Wochen, inklusive der Warnung der Bevölkerung seines Kreises bewertet.

Und wer hat eigentlich verlangt, dass alle Sirenen des gesamten Kreises ausgelöst werden, um nach Einschätzung des Kreises zu viele Einwohner*innen so ratlos zu machen, dass sie die Notrufleitungen blockieren? „Bedarfsgerechte geographische Selektivwarnung“, heißt es doch beispielsweise im Brandschutzbedarfsplan der Gemeinde Odenthal. Da hätten doch nur die ausgelöst werden können, die in den Ortsteilen mit der höchsten Überflutungswahrscheinlichkeit gehört werden.

Immerhin hat der Kreis doch im April 2020 bei einer Laufzeit von zwölf Monaten mit unbekanntem Budget ein „Klimaschutzteilkonzept zur Anpassung an den Klimawandel für den Rheinisch-Bergischen Kreis und seine acht Kreisangehörigen Kommunen“ extern in Auftrag gegeben. Grund dafür, so heißt es auf der Website des Kreises, ist, dass die Folgen des Klimawandels durch eine zunehmende Zahl und Intensität von Starkregenereignissen erkennbar seien. In den letzten Jahren hätten Starkregenereignisse im Kreis bereits mehrfach zu Überflutungen mit zum Teil beträchtlichen Sachschäden geführt. Deshalb solle das Konzept als „Handlungsrahmen für die künftige nachhaltige Entwicklung und konsequente Verfolgung von Klimawandelvorsorge im Rheinisch-Bergischen Kreis dienen und praxisnahe Maßnahmenvorschläge zugeschnitten auf individuelle Betroffenheitsbereiche entwickeln.“ Dann heißt es weiter: „Dabei werden insbesondere Auswirkungen in die Betrachtung mit aufgenommen, die sich aufgrund potenzieller Starkregenereignisse ergeben“. Eine Auswirkung ist übrigens, dass die Bevölkerung gewarnt werden muss. Ob das Krisenmanagement des Kreises ebenfalls konzeptionell betrachtet wurde, bleibt abzuwarten, denn das fertige Konzept ist in Odenthal zumindest der Öffentlichkeit noch nicht vorgestellt worden, obwohl die zwölf Monate seit April 2021 schon eine Weile verstrichen sind. Da war das Hochwasser dann schneller. Sollte es den Verantwortlichen im Kreis vorgelegen haben, hätten Sie entsprechend der Aufgabenstellung des Konzepts aber wenigstens die Hotspots für Hochwasser und Überschwemmung im Kreis mutmaßlich bereits kennen, und bedarfsgerecht selektiv mit Sirenen oder alternativen wirksamen Methoden rechtzeitig warnen können.

Die Warn-App „NINA“ oder andere digitale Warn-Systeme können bislang nicht als vollwertiger Ersatz gelten. Unter anderem zum Beispiel deshalb, weil laut der Kreisstatistik „Demografie“ am 31.12.2020 in Odenthal 2.329 Personen zwischen 65 und 79 Jahre alt, und 1.212 Personen mindestens 80 Jahre alt waren. Das sind zusammen fast ein Viertel der Bevölkerung der Gemeinde. Es ist nicht respektlos gemeint, wenn hier angenommen wird, dass dies allgemein die Zielgruppe der eigenverantwortlich handelnden Personen sein dürfte, bei der die permanente Aufmerksamkeit für digitale Mitteilungen von Warn-Apps oder Sozialen Medien über ihre Smartphones am wenigsten ausgeprägt sein dürfte. Aber selbst jüngere Menschen mit ausgeprägter Neigung zur digitalen Kontaktaufnahme schalten nachts ihre Smartphones lautlos, weil sie nicht von allen möglichen Push-Diensten oder Nachrichten in sozialen Netzwerken geweckt werden wollen.

Bei den älteren Menschen handelt es sich aber zudem um diejenigen, die aufgrund ihrer körperlichen Fähigkeiten einen möglichst langen zeitlichen Vorlauf zu schätzen wissen werden, um Vorkehrungen auf eine besondere Lage zu treffen. Die Verbreitung und Wirksamkeit der Warn-App „NINA“ bei den älteren Personen kann hier natürlich nur vermutet werden. Im Juni 2021 berichteten mehrere Medien von einer Nutzerzahl von knapp 8 Millionen Menschen insgesamt in Deutschland. Nicht nur diese Quote macht „NINA“ aktuell zu nicht mehr als einer wenn auch sehr wichtigen Unterstützung bei der Warnung der Bevölkerung.

Die vor einigen Jahren wiederentdeckte Bedeutung der Sirenen bei der Warnung der Bevölkerung ist auch damit begründet, dass sie eine „Zwangswarnung“ darstellen, die nicht abgeschaltet werden kann. „NINA“ wird aber nicht zuletzt auch von der Feuerwehr Odenthal auf ihrer Website als Informationsquelle mitgenannt, die nach einer Sirenenwarnung genutzt werden sollte, um sich Details über die drohende Gefahr zu verschaffen. Die Gemeinde Odenthal empfiehlt zwar auf der selben Website die Installation der Warn-App auf privaten Geräten, in ihrem eigenen gültigen Brandschutzbedarfsplan wird sie als Warnmittel für die Bevölkerung jedoch nicht einmal erwähnt. Die einzige darin festgelegte Warnung ist die mit Sirenen im Gemeindegebiet.

Bisher wurde öffentlich von keiner Stelle in Zweifel gezogen, dass die Warnung durch Sirenen in Odenthal bei dem Starkregenereignis am 14./15. Juli 2021 der Lage angemessen gewesen wäre. Soweit bekannt und öffentlich berichtet wurde, war im Kreis entschieden worden, diesen Warnweg nicht zu beschreiten. Inwieweit die gemeinsame Verantwortung bei der Wahrnehmung der Aufgabe der Warnung der Bevölkerung von Odenthal der Gemeindeverwaltung danach noch Spielraum für eigene Entscheidungen ließ, kann hier nicht beurteilt werden. Dass der Odenthaler Brandschutzbedarfsplan zu den Sirenen keine alternative Warnmöglichkeit darstellt, sollte im Kreis zumindest bekannt gewesen sein.

Nach Lage der Dinge kann man also sachlich zu dem Schluss kommen, dass dieser Teil des Managements der Krise unprofessionell war. Bei der fachlichen Aufarbeitung der Entscheidung zum Verzicht auf die Warnung mit Sirenen ist eine schlechte Beurteilung folgerichtig. Zum einen, weil sie für Odenthal faktisch bedeutete, die Warnung für die Bürger*innen mit Nina, lokalen Sendern oder Internet zur Holschuld zu machen. Zum anderen, weil diese Entscheidung aufgrund ihrer tatsächlichen und aufgrund ihrer darüber hinaus potentiellen Gefahren nicht in die Kategorie „Shit happens“ gehört. Sie wurde nicht bis zur Hüfte im Dreck stehend in einer eskalierenden Lage von erschöpften Hilfskräften getroffen. Das liegt zeitlich hinter der Warnung der Bevölkerung. Sie ist keine Entscheidung, die aufgrund unvorhersehbarer Ereignisse und Konstellationen in der Lage selbst plötzlich erst gefällt hätte werden müssen. Es stand lange vorher fest, dass Sirenen die Warnmittel bei Hochwasser sein würden.

Das ist das Irritierende: Das Krisenmanagement des Kreises hat sich scheinbar in den letzten Jahren nicht gefragt, was passiert, wenn der Sirenenalarm wirklich einmal ausgelöst werden muss. Dass es vielleicht notwendig sein könnte, bereits vor dem Moment, in dem die Sirenen zum Heulen gebracht werden, mit den flankierenden Informationsplattformen abzustimmen, welche Informationen dort für die Bevölkerung auf Abruf bereit gestellt werden können, scheint auch niemandem in den Sinn gekommen zu sein. Auch dafür gab es mehrere Tage lang Gelegenheit. Radio Berg, das auf der Website der Feuerwehr Odenthal für den Fall eines Sirenenalarms unter anderem als Informationsquelle genannt wird, hatte am 13. Juli 2021 bereits um 7:16 Uhr eine Starkregenwarnung des Deutschen Wetterdienstes mit bis zu 150 Litern pro Quadratmetern online gestellt. Soweit bekannt ist, war auch die Warn-App „NINA“ entsprechend vorbereitet.

In Darstellungen von Vertreter*innen des Kreises kam zum Ausdruck, dass die Bevölkerung letztlich selbst schuld daran war, nicht mit Sirenen gewarnt worden zu sein, weil ihr nicht zuzutrauen gewesen ist, sich regelkonform zu verhalten. Das hätte dann nach Einschätzung von Sprecher*innen des Kreises zur endgültigen Überlastung der Notrufleitungen geführt. Wenn es für diese Annahme keine belegbare Begründung gibt, kann sie wohl nur schwerlich Basis einer so schwerwiegenden Entscheidung sein. Wenn sie andererseits auf validen Erkenntnissen beruht, kann in einem vorausschauenden Krisenmanagement nicht ernst der Ernstfall abgewartet werden, um das zu problematisieren. Entweder die absehbaren Folgen eines relevant falschen Verhaltens der Gewarnten werden anders kompensiert, oder die Sirenen als Warnmittel müssen rechtzeitig grundlegend in Frage gestellt werden. Da beides im Rheinisch-bergischen Kreis augenscheinlich nicht passiert ist, kann sich der Kreis den Vorwurf auch an dieser Stelle aussuchen.

Es stellt sich noch grundsätzlich die Frage, wie glaubhaft die Beurteilung des Kreises für Odenthal ist, die mediale Berichterstattung sei nicht geeignet gewesen, den Sirenenalarm auszulösen. Selbst wenn es sich so verhalten hätte, darf man aber doch erwarten, dass der Kreis in einer Krisensituation imstande wäre, einen solchen Zustand sehr zeitnah proaktiv mit den betreffenden Redaktionen und Behörden zu verbessern. Wenn dafür keine Prozesse beschrieben sein sollten, spräche das wieder nicht für die Qualität des Krisenmanagements in diesem Punkt.

Für all das hat es bisher nur Erklärungen, aber keine Entschuldigungen gegeben. Und selbst die Erklärungen haben fachlich erhebliche Lücken. Der Bevölkerung wird damit einmal mehr vor Augen geführt, dass es trotz hoher Ausgaben für Personal und Strukturen für Organisationen und Führungsstrukturen am Ende doch wieder an den Einsatzkräften vor Ort und der betroffenen Bevölkerung hängen bleibt, Schlimmeres zu vermeiden und den Dreck wegzuräumen.

Das Krisenmanagement des Kreises kommt in Sachen Warnung der Bevölkerung mit Sirenen objektiv fachlich schlecht weg. Selbst angenommen, die Entscheidung am 14. Juli sei doch irgendwie richtig gewesen, hätte sie doch durch eine professionelle Vorbereitung auf die Krisensituation gar nicht erst spontan getroffen werden müssen. Die anschließenden Ausflüchte und Schuldverschiebungen machen die Fehler der Verantwortlichen vor und in der Lage nur zusätzlich peinlich.

Inwieweit fachliche Vorwürfe auch die Verwaltung der Gemeinde Odenthal mitbetreffen, hängt davon ab, wie die unspezifische gesetzliche Festlegung der gemeinsamen Verantwortung für die Warnung der Bevölkerung durch Sirenen im Detail zwischen ihr und dem Kreis geregelt ist, und sich definierte Funktionen, etwa im lokalen Odenthaler Krisenstab, über eine Entscheidung des Kreises überhaupt hätten hinwegsetzen können.

Klar ist jedoch, dass auch in Odenthal schon eine ganze Weile vor den ersten Tropfen des einsetzenden Starkregens über die Notwendigkeit einer Warnung der Bevölkerung konkret nachgedacht werden konnte.

Ein Appell an die Eigenverantwortung der Bevölkerung geht in Sachen Warnung vor Hochwasser komplett daneben. Er kommt nicht selten von denen, die verantwortlich sind, aber lieber nur zuständig wären. Kurz gesagt: Man kann es nicht zur individuellen Verantwortung einzelner Bürger*innen machen, wofür der Gesetzgeber die Verantwortung konkret an bestimmte öffentliche Stellen delegiert hat, und diese ihre Verantwortung auch verbindlich übernommen haben.