„Bergisches e-Bike“ – 911 in Odenthal

In einem Beitrag vom 2. Februar 2021 hatte das Medienprojekt Odenthal das bisherige schlechte Abschneiden von „Bergisches e-Bike“ im Rheinisch-Bergischen Kreis kommentiert. Im öffentlichen Teil der Sitzung des Ausschusses Infrastruktur, Verkehr und Vergabe stellte die Verwaltung einen Tag danach für Odenthal dar, „die Inanspruchnahme ist sehr gut.“ Für die Zukunft wurde eine noch bessere Prognose abgegeben. Die Redaktion von Medienprojekt Odenthal nahm das zum Anlass, zwei Tage nach der Sitzung eine Anfrage an die Verwaltung zu stellen. Für die erklärte Absicht, gerne zeitnah einen weiteren Beitrag zu verfassen, wenn eine herausragend positive Bewertung der Wirksamkeit von „Bergisches e-Bike“ für Odenthal darin hervorgehoben werden könnte, wurde die Verwaltung um Unterstützung gebeten. Um die Bewertung objektiv, transparent und mit dem Kreisdurchschnitt vergleichbar zu machen, wurde der Zeitraum Juli bis November 2020 angefragt. Für Odenthal lag zu diesem Zeitpunkt nur ein einziger Gesamtwert vor: 911. So viele Leih-Vorgänge an Odenthaler Mobilstationen waren von der Verwaltung für diese Monate verlautbart worden. Den Wert hatte Bürgermeister Robert Lennerts am 15. Dezember 2020 bereits in seiner Haushaltsrede im Gemeinderat genannt.

Die Redaktion fragte nun an, wie die Einschätzung der Verwaltung in der Ausschuss-Sitzung Anfang Februar, „Bergisches e-Bike“ sei in Odenthal ein Erfolg, konkret zustande gekommen ist. Folgender Abschnitt aus der Anfrage sollte der Verwaltung als Orientierung dienen:

Für die Leser*innen sind Antworten auf folgende Fragen aussagekräftig:

  • Wie viele verschiedene Personen haben sich in diesem Zeitraum registrieren lassen?
  • Wie viele davon verteilen sich auf die 911 Vorgänge (Ausleihen pro registrierte Person)?
  • Welche Nutzer*innen-Gruppe legen Sie bei Ihren Betrachtungen zugrunde (im genannten Beitrag vom 2.2.2021 sind es beispielsweise die 18-64-jährigen Bürger*innen)?
  • Wie viele für das Mobilitäts- und Klimaschutzkonzept tatsächlich relevante Fahrten (siehe Beitrag vom 2.2.2021) nehmen Sie pauschal oder differenziert bei den 911 Fahrten an?
  • Welche Schwellenwerte und Bezugsgrößen haben Sie für Ihr „sehr gut“ und andere Bewertungen festgelegt?
  • Welche anderen Bewertungen haben Sie definiert (z. B. „schlecht“)?
  • Welche Anhaltspunkte haben Sie für Ihre positive Zukunftsaussicht?

Da eine aussagekräftige Statistik durchaus anders zustande kommen kann, ergänzte die Redaktion in ihrer Anfrage:

Alternative Betrachtungsweisen sind willkommen, wenn sie zu vergleichbar objektiven Erkenntnissen führen.

Die für die Beantwortung der Anfrage eingeräumte Woche ist ohne Antwort oder eine andere Reaktion der Verwaltung verstrichen. Die Redaktion hätte selbstverständlich den Zeitraum verlängert, hätte die Verwaltung etwa darum gebeten, weil sie länger braucht, das Zahlenwerk zusammenzustellen.

So arbeiten wir eben nun ohne Unterstützung der Verwaltung mit dem einen bekannten Wert (911), und machen ihn mit der Rechnung vergleichbar, die für den Kreis aufgestellt wurde. Das geschieht erneut transparent und offen, damit nachvollziehbar ist, welche Schlüsse warum gezogen werden. So wäre es für die Position der Verwaltung auch wünschenswert gewesen.

Für den Kreis war bekannt, dass 2.500 Nutzer*innen von Juli bis November 6.800 Leihvorgänge durchgeführt hatten. Das entspricht einem Faktor von 2,7. Außerdem waren 170.158 Personen zwischen 18 und 64 Jahre als potentielle Zielgruppe angenommen worden. Damit ergab sich, dass nur knapp 1,5 Prozent dieser Zielgruppe mindestens ein Mal ein „Bergisches e-Bike“ im gesamten Rheinisch-Bergischen Kreis ausgeliehen hat.

Für Odenthal fehlt die Zahl der einzelnen Registrierungen. Deshalb nehmen wir den Kreisdurchschnitt von 2,7 Fahrten pro Nutzer*in, und errechnen damit ersatzweise eine bisherige Anzahl der Registrierungen von 337 in Odenthal. In der Gemeinde sind nach der Quelle, aus der auch die Zahlen für den Kreis stammen, 6.736 Personen zwischen 18 und 64 Jahre alt. Daraus ergeben sich exakt 5 Prozent der angenommenen Zielgruppe, die innerhalb von fünf Monaten ein Pedelec ausgeliehen haben. Das liegt deutlich über den 1,5 Prozent des Kreises insgesamt, ist aber sicher kein Grund, davon zu sprechen, die Inanspruchnahme sei sehr gut. Zumal auch dieser Wert von 5 noch gewichtet werden muss.

Zur Erinnerung:

Dem konzeptionellen Mobilitätsziel dienen nur die notwendigen Fahrten, bei denen das geliehene Pedelec das einzige Fortbewegungsmittel war, oder zur Vernetzung mit anderen Verkehrsmitteln eingesetzt wurde.

Dem Klimaschutzziel sind davon nur die Fahrten mit einem Leih-Pedelec zuzuschreiben, die tatsächlich eine Fahrt mit einem emittierenden Fahrzeug ersetzt haben. Sämtliche Fahrten, die nicht notwendig waren, haben insgesamt negative Umweltauswirkungen. Sie dienen der individuellen Freizeitgestaltung oder fördern den Tourismus. Beides sind keine konzeptionellen Zielsetzungen und gehen zulasten des Klimas.

Als geförderte Maßnahme ist „Bergisches e-Bike“ kein Freizeitangebot. Aus- oder Spazierfahrten sind nicht der Zweck, für den öffentliche Gelder eingesetzt wurden. Landräte und Bürgermeister müssten die Effizienz des Einsatzes öffentlicher Mittel in ihre Bewertung einfließen lassen.

Das entgegen der Behauptung der Verwaltung tatsächlich anzunehmende miserable bisherige Ergebnis von „Bergisches e-Bike“ in Odenthal liegt wohl über dem katastrophalen Abschneiden im Kreis insgesamt. Wer darin eine Begründung für eine positive Einschätzung finden kann, wird genau wie die Verwaltung freundlich gebeten, das der Redaktion von Medienprojekt Odenthal möglichst sachlich zu erläutern – vielleicht in einer E-Mail.

Die Verwaltung Odenthals war aktuell nicht dafür zu gewinnen, Transparenz beim Pedelec-Verleih zu schaffen. Das sind hoffentlich nicht die Vorzeichen dafür, dass die Öffentlichkeit künftig ganz ohne belegbare Zahlen einfach nur noch gesagt bekommt, was sie über die Wirksamkeit von Maßnahmen in der Gemeinde anzunehmen hat. Die Alternative zur kritischen Analyse von Zahlen in der Öffentlichkeit sollte nicht sein, keine Zahlen dem Risiko einer Kritik mehr auszusetzen, wenn das Resultat eines Diskurses unerwünscht sein könnte.

Die Reaktion auf die Anfrage und das Ergebnis der dadurch in diesem Beitrag notwendig gewordene Rechnung laden zur Zeit nicht dazu ein, Erfolgsmeldungen aus dem Rathaus ungeprüft hinzunehmen. Das sollte auch dem Gemeinderat klar sein. Die Bürger*innen bauen darauf, dass ihre politischen Mandatsträger*innen ihren Anspruch auf objektive Information vertreten. Wenn es nicht anders geht, müssen der Verwaltung eben klare Anweisungen für eine transparente und wahrheitsgemäße Öffentlichkeitsarbeit gegeben werden. Das Beispiel Klimawandelbericht deutet allerdings darauf hin, dass selbst das keine Garantie sein muss.

Es dreht sich bei alldem nicht allein um das Prinzip. „Bergisches e-Bike“ oder Mitfahrerbänke erscheinen für sich genommen als Nebensache. Es empfiehlt sich jedoch, auf den Kontext zu achten. Bei allen politischen Themen gibt es weiteres Schadenspotential, wenn von unbelegten Behauptungen oder falschen Annahmen die nächsten Entscheidungen abgeleitet werden. So könnte der alternativlose Erfolg von Verkehrs- und Umweltmaßnahmen zum Beispiel deshalb für Odenthal und den Rheinisch-Bergischen Kreis schlicht „angeordnet“ sein, weil sich damit bei künftigen größeren Neubauvorhaben im Gemeindegebiet die Bedenken der späteren Gegner*innen bei entsprechenden Bauleitplanverfahren von den Befürworter*innen in diesem Punkt bequemer entkräften lassen. Die Bürgerinitiativen kennen das: Den Bedenken wird nicht gefolgt.