Amtlich bekanntgemachte Wahrheiten

Die Verwaltung schlägt vor, dass der Haupt- und Finanzausschuss in seiner nächsten Sitzung beschließt, die Fehlplanung für den Haushalt 2021 sei durch einen technischen Fehler verursacht worden. Etwa 2,5 Millionen Euro liquide Mittel fehlen der Gemeinde im Finanzhaushalt. Sie fehlen, nach eigener Aussage der Verwaltung nach Bekanntwerden des Problems, weil das Buchungssystem einen außerordentlichen Betrag in dieser Höhe, den die Verwaltung bewusst in den Ertragshaushalt eingestellt hatte, automatisch im Finanzhaushalt gegengebucht hat. Das fiel erst nach der Verabschiedung des Haushalts durch den Gemeinderat im März 2021 auf. Der Hinweis kam von außerhalb der Verwaltung. Entsprechend der Erklärungen, die der Kämmerer danach hierzu abgab, hätte die systemische Buchung von der Verwaltung manuell korrigiert werden müssen. Das Medienprojekt Odenthal hatte die Zusammenhänge in einem Beitrag im Detail dargestellt.

Einen digitalen Automatismus hatte die Verwaltung nicht bedacht, und das später so beschrieben: „Was im Haushaltsplan der Gemeinde Odenthal 2021 nicht korrekt war, dass das System hier automatisch den Ertrag unter dem Konto 491100 im Ergebnishaushalt auch gleichfalls als Einzahlung 659100 (Sonst. Einzahlung aus lfd. Verwaltungstätigkeit) im Finanzhaushalt durch eine automatische Kontenverknüpfung im Hintergrund des Buchungssystems übernommen hat (Seite 56 Pos. 7). Somit sind die Einzahlungen des Finanzhaushaltes hier in den Jahren 2021-2024 jeweils um ca. 2,5 Mio. € zu positiv dargestellt“ (Quelle: Anlage zur Niederschrift der Gemeinderatssitzung vom 11.5.2021).

Der Gesetzgeber hat zur Abmilderung der bilanziellen Konsequenzen der Pandemie einen Vorgang legitimiert, der in der digitalen Erlebniswelt nicht vorkommt. Odenthal hat dieses Angebot des Gesetzgebers zur Verbesserung der Bilanz genutzt, weil anderenfalls die Haushaltssicherungsgrenze überschritten worden wäre. Das hätte für die Gemeinde bedeutet, dass sie ein Haushaltssicherungskonzept hätte aufstellen müssen. Das System, dem die aber tatsächlich fehlenden 2,5 Millionen Euro jetzt angekreidet werden sollen, hat nur das verknüpft, was üblicherweise und regelkonform verknüpft werden muss.

Die nachträgliche Korrektur dieses technisch und formal wohl korrekten Automatismus wäre notwendig gewesen, wurde aber nicht vorgenommen. Es wäre interessant zu erfahren, welche Kommunen außer Odenthal deswegen noch in die Falle ihres eigenen Buchungssystems getappt sind, ohne dies rechtzeitig zu bemerken und richtigzustellen.

So gesehen handelt es sich also nicht um einen technischen Fehler. Im Gegenteil. Die Technik hat bestens funktioniert.

Der Haupt- und Finanzausschuss soll nun trotzdem beschließen, dass es ein technischer Fehler im System war, und nicht mangelnde Sorgfalt in der Verwaltung. Zur Verbreitung der Schuldzuweisung an die Technik eignet sich nach Auffassung der Verwaltung am besten das Rathaus, das Amtsblatt der Gemeinde Odenthal: „Es wird vorgeschlagen, über die Veröffentlichung im Amtsblatt als auch auf der Homepage auf den technischen Fehler und die korrekte Zahl in den Einzahlungen des Finanzplanes hinzuweisen“.

Wahr ist, was vom politischen Gremium beschlossen und amtlich bekannt gemacht ist. Problem gelöst.

Zuletzt hatte Bürgermeister Robert Lennerts allerdings noch vehement argumentiert, die Veröffentlichungen im Amtsblatt gehörten zum laufenden Geschäft der Verwaltung und bedürften keiner weiteren Beschlüsse von Gremien. Da ging es für ihn allerdings darum, seinen Alleingang bei der Veröffentlichung des Sonderamtsblattes zur Inkraftsetzung der Änderung des Flächennutzungsplans der Ponywiese (Dhünner Wiese) zu verteidigen. Damit hatte er Ende 2020 noch die Mehrheit der Gemeinderatsmitglieder brüskiert, die von der mit Ihnen nicht abgestimmten Aktion politisch überfahren worden waren.

Die können ihm und seiner Verwaltung nun trotzdem mit einem dienlichen Beschluss dabei behilflich sein, die Unaufmerksamkeit seiner Verwaltung mit der Interpretation des Sachverhalts als technischer Fehler im Amtsblatt in ein besseres Licht zu rücken. Als laufendes Geschäft der Verwaltung hätte er das aber doch auch jetzt wieder gleich selbst erledigen können?

Vielleicht ist die Wahrheit eines technischen Fehlers aber so angreifbar, dass er ihre amtliche Bekanntmachung in diesem Fall doch lieber dem Beschluss einer politischen Mehrheit zuschreiben möchte. Wenn das nach der Bekanntmachung wieder einmal zum Problem werden sollte, würden entsprechende Beschwerden aus der Bürgerschaft, wie zuletzt im Zusammenhang mit dem Sonderamtsblatt, dann wohl den Ausschuss treffen.

Die Mitglieder des Haupt- und Finanzausschusses können sich bis zum 15. Juni 2021 noch überlegen, welche Wahrheit sie vertreten wollen, und warum. Sie können sich bis dahin auch fragen, ob es bei Abstimmungen über die Wahrheit Enthaltungen geben kann, und welchen Stellenwert die Integrität von amtlichen Bekanntmachungen haben soll.